Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
zu sein. »Du kannst mir ja schnell eine wachsen lassen.«
»Soll ich?« Es klang geradezu wie eine ernsthafte Frage.
»Nein«, sagte Charlotte. »Erstens hab ich, wie du siehst, keinen Platz dafür …«
»Du warst nicht lange genug in Japan«, warf er ein.
»… und zweitens will ich nur noch Dinge um mich haben, die von Menschen gemacht worden sind. Von Hand. Mittlerweile finde ich die schöner, selbst wenn sie nicht so perfekt geraten. Ich würde am liebsten gar nichts mehr besitzen, das von Maschinen hergestellt worden ist.«
»Warum das?«
»Weil es einer Maschine egal ist, ob sie einen Tisch baut oder einen Menschen tötet.«
Hiroshi hob die Augenbrauen. »Ah«, hörte sie ihn sagen. »Ja. Das stimmt. Das ist Maschinen in der Tat gleichgültig.« Ein schmerzlicher Ton lag in seiner Stimme.
Sie stellte die Tassen auf ihren kleinen Tisch, brachte die Kanne und den Zucker. »Setz dich«, sagte sie und wies auf den Sessel. Sie selber nahm den Schreibtischstuhl. »Und erzähl. Was führt dich her? Wo hast du gesteckt? Alle Welt will dich feiern, seit diese Raumstation am Himmel aufgetaucht ist.«
»Nicht nur feiern«, meinte Hiroshi, als sie ihm einschenkte.
Es klang bedrückt. Ja, überlegte Charlotte, vermutlich wollte man sich auch sein Wissen sichern. Bestimmt. Das war bloß alles schon so weit weg; sie kümmerte sich nicht mehr um Nachrichten, Zeitungen, Fernsehen …
»Schön jedenfalls, dich zu sehen«, sagte sie. »Ich wollte dir schreiben, aber irgendwie … Na ja. Und jetzt bist du da. Das freut mich so.« Sie musste blinzeln. Glückliche Momente anhalten, einfrieren – wieso konnte man das nicht? Wieso verging die Zeit so mitleidlos? »Es geht mir gesundheitlich nicht gut, das hast du vielleicht gesehen.«
»Ich weiß«, sagte Hiroshi. »Deswegen bin ich gekommen.«
»Um mich noch einmal zu sehen.«
»Nein«, sagte er. »Um dich zu heilen.«
»Mich zu heilen?« Sie schüttelte den Kopf, spürte einen Anflug von Ärger. »Das kann niemand mehr.«
»Doch. Ich kann es.«
Sie musterte ihn, studierte den Blick seiner ernsten Augen und erinnerte sich, dass, ja, es etwas anderes war, wenn Hiroshi derlei behauptete. »Woher weißt du überhaupt, dass ich krank bin?«, fiel ihr ein. »Und wo ich wohne?«
»Von einem gewissen Gary McGray.« Er nippte an seinem Kaffee. »Ich habe es unter allen Nummern versucht, die ich von dir hatte. Und in Schottland ging ein Mann ran, der sagte, dass er dich kennt und weiß, wo du bist.«
»Ah. Schön. Hat er was gesagt, wie es ihm geht?«
»Er war ein bisschen im Stress, glaube ich. Im Hintergrund hat ein Baby geschrien wie am Spieß.«
Dann hatten sie also ein Kind. Mindestens eines. Und lebten in Belcairn. Seltsam – und was war mit dem Auktionshaus in London? Nun, vielleicht würde ihr Gary noch schreiben. Noch rechtzeitig.
»Also diesmal nicht meine Mutter«, sagte sie.
»Zurzeit zögere ich, Botschafterhaushalte anzurufen«, meinte Hiroshi nur. Er sah sich um. »Lass uns anfangen. Ich würde gern das Bett ein wenig vorziehen, sodass ich am Kopfende sitzen kann, ist das okay?«
Charlotte nickte, fühlte sich ein wenig überrumpelt. »Was willst du überhaupt machen?«
»Dir die Hände auflegen, schlicht gesagt.«
»Glaubst du an so was?«
»Mach dir keine Gedanken.« Er zog das Bett schräg in den Raum, stellte den Stuhl ans Kopfende. »Leg dich einfach nur hin. Auf den Rücken.«
Sie zögerte. »Sonst nichts?«
»Du könntest das Kopftuch abnehmen.«
Na gut. Warum nicht. Sie löste den Knoten im Nacken. Ihre Wimpern waren nachgewachsen, aber auf dem Kopf hatte sie nach wie vor nur unregelmäßige Stoppeln; das Tuch abzunehmen kam ihr vor, als ziehe sie sich nackt vor ihm aus.
Andererseits hatte sie sich schon einmal nackt vor ihm ausgezogen.Sie faltete das Tuch sorgsam zusammen – eine Batikarbeit, die sie einer Frau auf einem Markt abgekauft hatte, auf dem hauptsächlich getauscht wurde –, deponierte es auf dem Tisch und streckte sich dann auf dem Bett aus.
»Bleib jetzt einfach ruhig liegen«, hörte sie seine Stimme. Er legte ihr seine Hände um den Hinterkopf, in der Nähe der Operationsnarbe. »Es wird eine Weile dauern.«
»Okay.« Es fühlte sich gut an, berührt zu werden, aber das alles befremdete sie dennoch. Hiroshi war immer ein Mann der Wissenschaft gewesen, ein Rationalist durch und durch; dass jemand wie er Zuflucht zu einem alten Aberglauben nahm, war … enttäuschend.
In diesem Augenblick fühlte sie ein eigenartiges
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