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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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der Glocke«, sagte unser Bootsmann, Manoel de Andrade.
    Faleiro lachte. »Aye! Der König und die Glocke! Lausche gut, Andres, denn es könnte dich das Leben kosten, wenn du in dieser Sache achtlos bist.«
    Und er sagte, es sei in diesem Land bei Todesstrafe verboten, zu sehen, wie der König ißt oder trinkt. Wenn der König trinkt, hält der Mundschenk, der den königlichen Becher mit Palmwein trägt, auch eine Glocke in der Hand, und wenn er dem König den Becher gibt, wendet er das Gesicht ab und läutet die Glocke. Und dann werfen sich alle, die in der Nähe weilen, bäuchlings zu Boden und erheben sich nicht, bis der König getrunken hat. »Was sehr gefährlich für jeden Fremden ist, der diesen Brauch nicht kennt«, sagte Faleiro, »denn wenn jemand sieht, wie der König trinkt, wird er augenblicklich getötet, ganz gleich, wer immer er sein mag.«
    »Wer immer er ist?« fragte ich.
    »Aye. Da war ein Junge von zwölf Jahren, des Königs Sohn. Dieser Knabe trat zufällig ein, als sein Vater in einer Kammer trank, und erblickte ihn. Augenblicklich befahl der König, den Jungen in seine besten Gewänder zu kleiden und ihm zu essen und zu trinken zu geben. So geschah es; und danach befahl der König, ihn zu vierteilen und durch die Stadt zu tragen und dabei zu verkünden, er habe gesehen, wie der König trank.«
    »Das ist nicht wahr!« rief ich.
    »Du willst mich der Lüge bezichtigen?« rief Faleiro und blickte zornig drein.
    »Nay, nay, guter Pedro«, sagte ich und berührte seinen Arm. »Ich meinte nur, daß mein Verstand solch einen Schrecken nicht hinnehmen kann.«
    »Nimm ihn hin und erinnere dich gut daran. Denn wenn wir das Glück haben, daß uns eine Audienz bei diesem König gewährt wird, achte genau auf die Glocke. Wir sind keine Ausnahme von der Regel.«
    »Dann würden sie auch einen von uns vierteilen?«
    »Wir sind wenige, und sie sind viele. Ich weiß nicht, ob sie uns angreifen würden, und wenn, haben wir Musketen und sie nicht. Doch wir sollten es nicht darauf ankommen lassen.«
    »Und so müssen wir uns auf dem Bauch erniedrigen, wenn der König trinken will?« fragte ich.
    »Für uns genügt es, wenn wir das Gesicht abwenden«, gab Faleiro zurück.
    »Es ist das gleiche, wenn der König ißt«, sagte Andrade, »doch dieses Risiko ist geringer, denn der König hat ein Speisehaus, das er allein betritt, und die Tür wird hinter ihm geschlossen, und er klopft, bevor er herauskommt. Dennoch stolpert mitunter irgendein Tor in dieses Haus und sieht den König, und dafür muß er sterben.«
    Ich fühlte, wie ich trotz der Hitze des Tages erschauerte. »Dies klingt in meinen Ohren teuflisch, wahnwitzig.«
    »Es ist ihr Glaube«, sagte Manoel de Andrade, »daß der König sterben wird, wenn ihn jemand beim Essen oder Trinken beobachtet. Und so schützt er sich. Denn wenn er den, der ihn beobachtet hat, erschlägt, wird sein Leben verschont, glaubt man hier.«
    »Ah!« rief ich. »Nun verstehe ich, und dies ergibt fürwahr einen guten Sinn!«
    Doch ich sprach mit tiefer Ironie – was meine portugiesischen Gefährten nicht bemerkten, nehme ich an, denn sie betrachteten mich sonderbar, als wollten sie sagen: Der Engländer muß genauso verrückt sein wie das Volk von Loango.
    Ich machte mir nicht die Mühe, mich ihnen zu erklären. In der Tat ergab es einen gewissen Sinn – wenn jemand an etwas glaubt, folgert daraus natürlich, daß er die richtigen Schritte unternehmen muß, sich vor dem Bösen, das daraus erwachsen kann, zu schützen. Man muß nur daran glauben. Für die Papisten ist das Blut Christi in dem Kelch, aus dem sie nippen, und ich glaube, der König von Loango hätte seine Schwierigkeiten, an diese Wahrheit zu glauben. Bei Gott, die habe ich ja schon!
    Nachdem ich diese Geschichte gehört hatte, war ich gespannt und überaus aufmerksam, als wir nach Loango gingen. Wir betraten die Stadt zu Fuß und hatten eine kleine Gruppe Männer zurückgelassen, das Schiff zu bewachen. Und als ich diesen Ort betrat, war es für mich, als hätte ich ein Land der Träume betreten, einen Ort, an dem im hellen Tageslicht Phantome wandeln. Die Fremdartigkeit dieser ersten Augenblicke konnte ich geradezu in meinem Mund schmecken, als hätte ich irgendein Stück Metall unter meine Zunge geschoben, und ich kann mich bis an den heutigen Tag an diesen Geschmack der Fremdartigkeit erinnern.
    Doch das seltsamste an dieser Fremdartigkeit ist, wie schnell sie verbleicht. Ich habe viele Orte wie Loango betreten,

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