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Herr der Welt

Herr der Welt

Titel: Herr der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Plateaus. Jetzt konnten wir
    am Fuß der Felsmasse herumgehen, die sich bei einer Höhe
    von 50 Fuß wie die Wand eines Korbs ausbauchte, so daß
    es, selbst wenn wir Stufen hätten benutzen können, doch
    unmöglich gewesen wäre, die obere Kante der Umfassung
    zu erklimmen.
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    In meiner Vorstellung nahm der Great Eyrie mehr und
    mehr eine fantastische Gestalt an, und wenn er von Dra-
    chen, bösen Geistern und Schimären bewohnt gewesen
    wäre, die hier zu seiner Bewachung hausten, hätte mich das
    auch nicht weiter verwundert.
    Inzwischen wanderten wir längs dieser Umwallung hin,
    die in Anbetracht ihres regelmäßigen Aufbaus einem Werk
    von Menschenhand ähnelte. Doch nirgends zeigte sich eine
    Unterbrechung des Wallkranzes, nirgends ein Spalt im Ge-
    stein, durch den man hätte zu schlüpfen versuchen können.
    Überall starrte der Kamm empor . . . überall unersteigbar.
    Nachdem wir dem Rand des Plateaus 1 Stunde lang ge-
    folgt waren, befanden wir uns wieder an der Ausgangsstelle,
    wo wir an dem Blad zuletzt haltgemacht hatten.
    Ich konnte meinen Ärger über ein solches Mißgeschick
    nicht unterdrücken, und Mr. Smith schien darüber nicht
    weniger verdrießlich zu sein.
    »Alle Teufel!« rief er, »wir sollen also nicht erfahren, was
    sich im Innern dieses vermaledeiten Great Eyrie verbirgt . . .
    ob er einen Krater bildet . . .«
    »Ob er ein Vulkan ist oder nicht«, fiel ich ein. »Jeden-
    falls ist jetzt hier kein Geräusch zu hören, jedenfalls steigt
    kein Rauch auf, züngeln keine Flammen empor, überhaupt
    zeigt sich nichts, was auf einen bevorstehenden Ausbruch
    hindeutete.«
    Tatsächlich herrschte außen und innen das tiefste
    Schweigen. Kein rauchgemengtes Dampfwölkchen drang
    nach außen hervor, kein Widerschein glänzte an den Wol-

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    ken, die ein mäßiger Ostwind über den geheimnisvollen
    Berg hinwegtrieb. Der Erdboden war ebenso ruhig wie die
    Luft. Kein unterirdisches Rollen, kein Erzittern des Bodens
    unter unseren Füßen machte sich bemerkbar . . . überall
    herrschte die feierliche Stille der großen Höhen.
    Hier sei gleich eingeflochten, daß der Umfang des Great
    Eyrie – abgeschätzt nach der Zeit, die wir gebraucht hatten,
    ihn zu umkreisen, und unter Berücksichtigung der Schwie-
    rigkeiten, die wir auf dem schmalen Plateau zu überwin-
    den hatten – 1100 bis 1200 Fuß betragen mochte. Seinen
    Umfang im Innern konnten wir unmöglich beurteilen, da
    uns die Dicke der ihn umschließenden Felswand unbekannt
    war.Natürlich erwies sich die Umgebung völlig wüst und öde,
    und es erschien mir begreiflich, daß sich hier kein lebendes
    Wesen zeigte, mit Ausnahme einiger riesiger Raubvögel, die
    über dem Great Eyrie kreisten.
    Unsere Uhren wiesen jetzt die dritte Nachmittags-
    stunde.
    »Und wenn wir hier auch bis zum Abend blieben«, rief
    Mr. Smith mit ärgerlicher Stimme, »da wüßten wir auch
    nicht mehr als jetzt! Wir müssen wieder aufbrechen, Mr.
    Strock, wenn wir vor Einbruch der Nacht in Pleasant Gar-
    den zurücksein wollen.«
    Da ich ihm nicht antwortete und auch den Platz, wo ich
    saß, nicht verließ, trat er an mich heran.
    »Nun, Mr. Strock«, fuhr er fort, »Sie sagen ja gar nichts!
    Haben Sie mich etwa nicht verstanden?«
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    Ich muß gestehen, daß es mich viel Überwindung kos-
    tete, wieder hinabzusteigen, ohne meinen Auftrag erledigt
    zu haben. Auch fühlte ich, mit dem gebieterischen Verlan-
    gen auszuharren, daß meine Neugier sich nur verdoppelte.
    Doch was sollte ich tun? Lag es in meiner Macht, die
    mächtige Wallmauer zu durchbrechen oder die trotzigen
    Felsen zu erklimmen?
    Ich mußte mich wohl oder übel fügen, und nach einem
    letzten Blick auf den Great Eyrie folgte ich meinen Beglei-
    tern, die schon die Abhänge des Blad hinunterglitten.
    Der Rückweg erfolgte ohne besondere Schwierigkeiten
    und ohne größere Anstrengung. Schon vor 5 Uhr über-
    schritten wir die letzten Ausläufer der Bergmasse, und der
    Verwalter von Wildon empfing uns in dem Speisezimmer,
    wo schon Erfrischungen und ein nahrhaftes Essen für uns
    bereitstand.
    »Sie haben also nicht in das Innere eindringen können?«
    fragte uns der Mann.
    »Nein«, antwortete Mr. Smith; »ich fange wahrlich an zu
    glauben, daß der ganze Great Eyrie nur in der Einbildung
    unserer braven Landleute existiert!« Halb 9 Uhr erwartete
    uns vor dem Haus der Wagen des Ortsvorstehers von Plea-
    sant Garden, wo wir die Nacht zubringen sollten.
    Während ich

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