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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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der Vater. Herr Merse war sich sicher, dass der Vater nicht der Chef war, dass der Vater die Familie im Stich gelassen hatte, dass auf jeden Fall Natascha eine Stinkwut auf ihn hatte. Er hatte es ihrem Schweigen angemerkt. Wie konnte ein Mann diese Frau verlassen! Und diese Kinder. Alles in allem war Natascha doch netter als gedacht. Immerhin war sie bei Joel geblieben und nicht zu den Rettungsschwimmern gelaufen. Konnte die gucken! Allein die Erinnerung an den hellblauen Glasblick trieb ihm die Röte ins Gesicht zurück. ( » Roter Puter, bist mein Schnuter«, sagte Dagmar nach dem Sex gelegentlich. Er wurde leicht rot, und das als erwachsener Mann. Und beim Sex immer.) » Dein blaues Auge blickt so klar / Ich schaue bis zum Grund.« Er liebte das Lied mit dem Heine-Text. Es kühlte jede Wunde. » Eines deiner besten, Johannes!« Wahrscheinlich hatte sich Brahms den Bart als ultimative Rettung gegen das Erröten stehen lassen. Storm auch. Alles so Schnuter. Bartschnuter.
    Buchhändlerin. Ein schöner Beruf. Er liebte Buchhandlungen. Es war sicher eine kleine Buchhandlung. Klitsche. Das klang nicht nach was Großem. Er stellte sich vor, wie er einen kleinen, vollgekramten Buchladen in einer mit Platanen bestandenen Berliner Seitenstraße betrat und wie er Frau Luner am Computer vorfand, wo sie etwas suchte, aufschaute und ihn gleich erkannte: » Ach, Sie! Hallo«, und wie er sie dann in ein Gespräch verwickelte und einlud, mit ihm essen zu gehen, alles ganz easy ( » Du und easy!«). Wie sie an einem Restauranttisch saßen, auf einem der Plätze in Berlin, mit Windlicht, und wie er sie ausfragte. Nein, wie sie ihm ganz von selbst alles erzählte. Nein, nein, das war alles viel zu direkt. Wie sie über Reisen sprechen würden. Wo man schon immer mal hinwollte und noch nie war. Venedig (zu kitschig), Rom (da war jeder schon mal), Barcelona. Ja, Barcelona. Herr Merse hatte ein Buch gelesen, das in Barcelona spielte, und ihr fiel dann wohl ein anderes ein, das in Lissabon spielte, und sie malten sich aus, wie schön es wäre, den Bücherhelden nachzuwandern und sich treiben zu lassen und alle möglichen Winkel zu entdecken und keine Sorgen zu haben und Hand in Hand über Plätze zu schlendern und an einem Fluss zu sitzen. Da würde er sie mit dem Ditschen beeindrucken, und sie würden sich ins Gras in den Halbschatten eines alten holzigen Holunderbusches legen, und er würde behaupten, das sei der Busch aus Hoffmanns »Goldenem Topf« und sie solle mal genau hinsehen, dann sähe sie Salamander mit ihren goldenen Krönchen in den Zweigen, und sie würde lachen und ihre Locken schütteln und ihn anstrahlen, und er würde ihr Bein streicheln und sie fragen, woher sie eigentlich diese Narbe hätte, und ihr erzählen, dass er sich immer mit dem ungeschickten Studenten Anselmus aus dem »Goldenen Topf« identifiziert hätte, aber nun sei sie gekommen und habe ihn erlöst…
    Er lächelte glücklich, aber kurz. Er wollte sich nicht in ein keinesfalls sicheres und höchstwahrscheinlich sowieso nie für ihn gedachtes Glück hineinsteigern. Das er aber unbedingt jetzt mit jemandem teilen musste! Weil er doch fast platzte! Er erzählte dem erstaunten Johannes, dass er eine Buchhändlerin kennengelernt habe und sie sich über Reisen unterhalten hätten. » Was ist denn ihr Lieblingsbuch?«, fragte Johannes, der seinerseits leidenschaftlich gern las, wie Herr Merse von der Tante erfahren hatte. Herr Merse schwieg. Er war auf diese Frage nicht gekommen. Er wollte » Die Leiden des jungen Werthers« antworten, schluckte den Einfall aber hinunter. Albern. Eine Frau um die vierzig. Mit zwei Kindern. Johannes fand, einer Frau Luner müsse man ein Nachtstück schreiben, und begann eine Melodie auf dem Klavier, an dem ihn Herr Merse immer sah. Wahrscheinlich hatte er »Luna« verstanden. Während Herr Merse ihm zuhörte, dachte er weiter über ihr mögliches Lieblingsbuch nach und verwarf eines nach dem anderen. War er müde! So müde, dass er keine Tablette mehr brauchte. Nie mehr. Schluss damit, schlafen und Punkt. Aus.

Freitag
    Herr Merse schlief traumlos bis sechs Uhr morgens. Er wachte mit einem leichten Zittern auf; es zog sich die gesamte Innenseite an den Beinen entlang. Das nicht kontrollierbare Vibrieren irritierte ihn. Er strich mit den Händen über die Oberschenkel, vorbei an seiner Morgenerektion. Mit dem Salamanderbusch, unter den er sich gestern mit Frau Luner getagträumt hatte, war er gefährlich nah » am Ufer«

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