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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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als Vorwand benutzen, um sich von ihr Dank zu erschleichen. Kinder. Das Tagebuch. Welche innere Macht hatte ihn dazu getrieben, es überhaupt zu klauen, es dann ewig nicht zu lesen, es plötzlich lesen zu wollen, es sich sogar nachschicken zu lassen und dann gestern statt des klugen Romans zu öffnen. Diese Macht war der Fluss, in dem er jetzt hilflos mittrieb, statt ihn männlich in seinem eigenen Boot zu befahren. Wie er es Ulrich zutraute.
    Er schlug » Der Mann ohne Eigenschaften« auf. Und wieder zu. Dagmars Satz: » Er hat alles von seiner Schwester«, schoss ihm durch den Kopf. Dagmar hatte ihm beim Auszug ein Buch gegeben, das von einem Bruder und seiner Zwillingsschwester handelte. Also war es eine Botschaft gewesen! So viel Feinsinn hätte er ihr gar nicht zugetraut. Er schlug das Buch wieder auf, blätterte, ohne hinzusehen, und entschied sich willenlos für eine Seite, die er zweimal lesen musste, bis er begriff, worum es ging.
    In dem Augenblick kam es Agathe wirklich sonderbar vor, dass sie Frau Hagauer sei, und der Unterschied zwischen den damit gegebenen deutlichen und dichten Beziehungen und der einwärts davon sich zu ihr erstreckenden Unsicherheit war so stark, daß sie selbst ohne Körper dazustehen und ihr Körper zu der Frau Hagauer im Spiegel zu gehören schien, die nun sehen mochte, wie sie mit ihm fertig werde … Auch darin lag etwas von dem schwebenden Genuß des Lebens, der manchmal wie ein Schreck ist, und das erste, wozu sich Agathe, nachdem sie sich flüchtig wieder angekleidet hatte, entschloß, führte sie in ihr Schlafzimmer, eine Kapsel zu suchen … Diese kleine luftdichte Kapsel, die sie beinahe ebenso lange besaß, wie sie mit Hagauer verheiratet war, und von der sie sich niemals trennte, enthielt eine winzige Menge einer mißfarbigen Substanz, von der man ihr versprochen hatte, daß sie ein schweres Gift sei …
    Herr Merse sah vor seinem inneren Auge eine dunkelhaarige Frau, groß, mit schweren Brüsten, wie sie nackt vor einem hohen ovalen Spiegel stand und die Fremdheit zwischen ihrem denkenden Ich und ihrem weiblichen Körper auslotete, einem Körper, der offenbar mehr ihrem Mann gehörte als ihr selbst. Dieser Hagauer, das musste der aus dem Kriegsministerium sein, der seiner Frau nichts von den männlichen Geheimnissen erzählte. Na, das war ja der passende Mann für die schöne Agathe. Herr Merse liebte den Namen mit den beiden dunklen a-Klängen. Er konnte sich den Sex, den dieser Kriegshengst an und in ihr austurnte, genau vorstellen. Dass der weichbrüstig dahinfließenden Agathe ihr von Herrn Hagauer benutzter Körper fremd wurde, war ja klar! Er verstand sie überhaupt ohne Weiteres. Dass zum Beispiel ein » schwebender Genuss« wie ein Schreck sein kann, kannte er aus Aufführungen, wenn er seine Horntöne hörte wie etwas Fremdes, das aber doch aus ihm selbst floss…
    Aber nun die Kapsel. Hier hatte die Wünschelrute ausgeschlagen. Die Selbstmordpille, die Agathe ein Schutz war, eine Rückzugsmöglichkeit, wenn ihr alles andere abgeschnitten erschien, und zwar durch ihren Ehemann, denn sie hatte die Kapsel ja wohl bald nach der Eheschließung gekauft. Vermutlich sogar wegen der Eheschließung. Vielleicht für eben den Fall, dass dieser Kriegshagauer von ihr Besitz ergriff und sie dazu nicht » Hör auf« sagen konnte. Herr Merse kannte den Griff nach der Pille, den er heute Morgen wieder so blindlings ausgeführt hatte. Spielte das Orakel darauf an? Agathe schien damit bewusster umzugehen. Ihre Pille war allerdings auch gefährlicher. Herr Merse vermutete, dass Agathe die Pille dann einnehmen wollte, wenn die Trennung zwischen ihrem Körper-Ich (Frau Hagauer) und Denk-Ich (Agathe) unwiderruflich vollzogen war. Vielleicht ausgelöst durch eine scharfe Bemerkung. Oder durch Herrn Hagauers Ficklust, die er an der schlafduftenden Frau Hagauer austobte, ohne Agathe dazu einzuladen. Herr Merse sah Hagauer nach erfolgreichen Konferenzen im Kriegsministerium in Zigarren- und Weindunst eingehüllt nach Hause kommen und die Treppe zu Agathes Spiegelzimmer hochsteigen. Er ballte die Faust…
    So ein Mann war er, Ingo Merse, zu Dagmar nicht gewesen. Überhaupt hatten Dagmar und Agathe über die beiden a im Namen hinaus nichts gemeinsam. Dagmar konnte Nein sagen und hatte Nein gesagt. Je länger, desto öfter. Mal hatte sie ihre Tage, mal musste sie üben, mal wollte sie fernsehen, mal wollte sie einfach nicht. Er hatte das hingenommen wie ein Schaf, nicht gefragt und sich in

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