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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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Fußbälle zu. Auf den Steinwällen blühten die Heckenrosen. Er runzelte die Stirn. Dagmar mit ihrem nordischen Nibelungennamen hatte eine Mordpille benutzt. Hatte über das kleine Leben verfügt wie Herr Hagauer über Frau Hagauer. Anders. Schlimmer. Mit Skalpell und Spekulum. Die Standesbeamten sollten bei jeder Heirat an beide Partner eine Giftkapsel austeilen, dachte er bitter. Und dann für jedes geborene Kind eine weitere. In Agathes Fall wäre Mord viel besser als Selbstmord. Er sah Agathes Hände vor sich, die den Inhalt der Giftkapsel über Hagauers Morgenmüsli streuten und das Pulver mit einem silbernen Teelöffel einrührten. Musste es so sein? Dass die Ehe Mörder, Selbstmörder und Kindsmörder produzierte?
    » Agathe hätte dich in Ruhe gelassen, dir vertraut, wäre auf dich stolz gewesen und hätte dich geliebt«, sagte er plötzlich laut und voller Wut zu Johannes hinüber. » Misserfolge hätte sie ertragen, in Zeiten der Mutlosigkeit dich aufgebaut.« Zu seiner Überraschung stimmte Johannes ohne Einwände zu. Nickte müde mit stumpfblauen Augen vom Klavier zu ihm herüber.
    In dieser Müdigkeit erkannte Herr Merse mit leisem Schock das Gefühl, gegen das er die Tabletten einnahm. Er sah auf die Uhr. Es war schon früher Nachmittag. Jetzt zum Strand. Ins Leben. Ohne Abdriften. Er rasierte sich. Duschte. Sammelte alles zusammen. Handtücher. Bademantel. Sonnencreme. Zwei Tassen, die Thermoskanne Kaffee. Eine Wasserflasche. Obst. Er schmierte Brötchen. Packte Mars und Bounty ein. Snickers. Er hätte einen Kuchen backen sollen. Oder seine Haferflockenkekse. Barbara liebte sie über alles. Bücher? Nein. Herr Merse verließ die Wohnung. Er wollte nicht zurückdenken, er wollte schwimmen und dann weitersehen. Lieber vorausdenken. Ob sie kam. Anemone. Oder zu ihr hinübergehen. Sie hatte recht. Er war einfach nett gewesen zu den Kindern.
    * * *
    Draußen empfing ihn ein frischer Wind. Vor dem Kiosk wackelten große aufgeblasene Gummitiere und Nivea-Bälle. Ein Ständer mit Sonnenbrillen stand etwas schief. Herr Merse wollte ihn im Vorbeigehen aufrichten; dabei fiel das Gestell um. Er erschrak, aber nichts war zerbrochen. Er stellte ihn sicherer hin und steckte die herausgefallenen Brillen wieder auf. Der Besitzer verfolgte die Szene, sagte aber nichts. Herr Merse atmete tief durch. Was hätte Dagmar aus diesem Missgeschick gemacht. ( » Ein Mann, ein Fall, ein Ständer.«) Er atmete tief ein und lachte zum Meer hin. Er war am Leben! Man stieß mal was um. So what?
    » Ich besuche Sie nachher am Strandkorb«, hatte sie gesagt. Das hieß, sie wollte auf ihn zukommen, nicht umgekehrt. Gut. Er empfand das Blau-Weiß seiner Lok als optimistisch. Sie kommt bald, sagte es. Er wischte alles frei, richtete sich ein. Um das Warten nicht zu empfinden, schaute er sich eine Übung der Rettungsschwimmer an. Sie zeigten den Kurgästen, wie schwierig es ist, einen schlaffen Körper zu bergen. Einer von ihnen lag als » toter Mann« weiter außerhalb des Brandungsbereichs. Sie schoben ihm eine Art Luftmatratze unter und zerrten ihn mühselig ins Boot. Nach der Vorführung zerstreute sich alles.
    Herr Merse ging langsam ins Wasser. Früher war er mit Barbara um die Wette in die Brandung gerannt. Obwohl er dünner und sie kräftiger war, war er meist schneller drin gewesen als sie. Nun schwamm er weit hinaus, wo die Wellen länger und ruhiger wurden, drehte sich auf den Rücken und versuchte das Getragenwerden, die fernen Strandgeräusche, sogar seinen Körper zu genießen. Muss einer denken? Wird er nicht vermisst? Er drehte sich wütend um und begann ein anstrengendes Kraulen. Mit beiden Armen gleichzeitig schnellte er sich aus dem Wasser. Delfinschwimmen. Ad usum delphini. Er kam nicht weg davon.
    Auf dem Gang zur Süßwasserdusche warf er einen schnellen Blick auf 1051 . Taschen und Handtücher lagen in quirligem Durcheinander, aber er sah niemanden. Nach Duschen, Kaffee, Dösen schwoll die Unruhe in ihm mächtig an. Hätte er doch ein Buch mitgenommen! Schon wieder Warten. Er hatte Lust, Muscheln für Joel zu sammeln, aber war das nicht zu durchsichtig? Weiter hinten machten Animateure Strandgymnastik mit den Kurgästen. Etwas für Ältere. Er sah die alten sehnigen Körper, an denen so manches herunterhing. Konnte er sich daruntermischen? Die Rettungsschwimmer hatten das Boot zurückgezogen. Er entdeckte Natascha bei ihnen. Sie unterhielt sich, lachte. Nach allem, was er erkannte, aßen sie Kebabs. Oder

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