Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Kollegen ein imposantes Fass original Meininger Schlosspils und einige Kilo echte Thüringer Bratwürste aufgefahren, natürlich von den guten ungebrühten. Dazu hatte er, wie gesagt, einen nagelneuen Grill besorgt sowie für alle Fälle ein Partyzelt, dass er direkt neben der Hollywoodschaukel aufgebaut hatte. Einige der Jungs spielten Boule, bis eine Kugel durch die Scheibe des Gewächshauses flog, sodass die Kakteen evakuiert werden mussten. Andere Gäste saßen einfach träge in der Sonne und unterhielten sich über Fußball, ihre Frauen und andere Nebensächlichkeiten. An einem der Tische wurde jedoch auch über den Mord an der Richterin Kminikowski diskutiert, und dort ging es mit Abstand am lebhaftesten zu. Einer forderte sogar die Todesstrafe für Vergewaltiger, aber der musste sich natürlich anhören, dass das ja »leider« nicht ginge, wegen der Verfassung. In den USA und China sei man in dem Punkt schon weiter.
Den vorläufigen Höhepunkt des Tages bildete das traditionelle Bratwurstwettessen, das der Rainer Kummer mit dreizehnzweidrittel Einheiten vor dem doppelt so breiten und doppelt so schweren Gartennachbar Heinz knapp für sich entscheiden konnte. Manch einer fragte sich da, wo der Hänfling das alles hingefressen hatte, und der dicke Heinz reklamierte sogar, das könne ja wohl nicht mit rechten Dingen zugehen! Aber als Schiedsrichter hatte der Fickel das letzte Wort und überreichte dem Rainer Kummer den Pokal. Er wusste schließlich am besten, wie oft der arme Kerl darüber klagte, dass er zu Hause nix Gescheites vorgesetzt bekam, denn Rainers Frau Claudia achtete daheim auf ökologische Ernährung – Hauptgericht: Vogelfutter. Vielleicht konnte man seine herausragende Leistung beim Bratwurstwettessen vor dem Hintergrund medizinisch so erklären, dass der Mann bei so viel Ballaststoffen einfach mal ein Gegengewicht brauchte.
Schon am Mittag war der Fickel im Grunde der Einzige, der noch eine Wasserwaage halten konnte. Denn als Gastgeber musste er natürlich den Überblick bewahren. Leider versiegte das Fasspils viel früher als vorgesehen, weil irgendein Dunselmann [ 7 ] den Hahn nicht richtig zugedreht und damit für eine Überschwemmung auf dem Rasen gesorgt hatte. Einzig Justizwachtmeister Kummer wollte diese sinnlose Verschwendung von Nahrungs-, respektive Genussmitteln nicht hinnehmen und warf sich unter dem anfeuernden Gejohle der anderen auf den Boden, wo er das flüssige Gold von der Grasnarbe schlürfte wie ein Ertrinkender, bis der Fickel dem Treiben unter Hinweis auf die kürzlich durchgeführte Rasendüngung aus Beständen der Sickergrube ein Ende setzte.
In Anbetracht der versiegten Vorräte beschloss der Ältestenrat einstimmig, sich Richtung Stadt aufzumachen, um dort die Feierlichkeiten fortzusetzen. Nur: Wenn einer bei der Justiz angestellt ist, ob als Wachtmeister oder Pförtner, dann hat er eine ganze Menge zu verlieren, wenn er zum Beispiel betrunken am Steuer beziehungsweise am Lenker erwischt wird, seinen Job oder – mindestens genauso schlimm – die Pensionsansprüche. Zum Glück sehen die Damen und Herren Richter es nicht ganz so eng mit den Ordnungswidrigkeiten, weil sie selbst privat auch gern mal einen heißen Reifen fahren und daher bei Verkehrssünden christliche Milde walten lassen. Vor allem die Pendler, die in Flensburg schon ein dickes Konto besitzen. Aber das wissen natürlich nur die Eingeweihten. Der Fickel meinte jedenfalls, dass man es mit ein paar harmlosen Radlern schon nicht so genau nehmen würde, und in der aktuellen Notsituation fand sich selbstverständlich niemand, der einem leibhaftigen Rechtsanwalt da widersprochen hätte. Trotzdem taten sich einige beim Aufsteigen ein bisschen schwerer als sonst. Am Ende blieb ihnen aber nichts anderes übrig, denn ein Taxi war um die Zeit in Meiningen sowieso nicht aufzutreiben, mitten in der Mittagspause, dazu noch an einem Feiertag.
Der eine oder andere Sonntagsfahrer auf der Landsberger Straße mag sich angesichts dieser ausnehmend gut gelaunten Gesellschaft nicht mehr ganz junger, aber auch nicht wirklich alter Justizangehöriger gewundert haben, die auf größtenteils schrottreifen, teilweise fliedergeschmückten Rädern Schlangenlinien fahrend durch die mohnbewachsenen Rhönwiesen strampelten und dabei das »Rennsteiglied« trällerten:
»Diesen Weg auf den Höh’n bin ich oft gegangen,
Vöglein sangen Lieder.
Bin ich weit in der Welt, habe ich Verlangen
Thüringer Wald nur nach dir! [ 8 ]«
Gut
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