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Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Titel: Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Henner Hess
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man ab und zu Anspruch auf eine Privatsphäre.
    Irgendwo war dem Fickel nach der letzten Lokalrunde auch ein bisschen schwummerig zumute, immerhin war er auch keine neununddreißig mehr! Folglich verabschiedete er sich nach der nächsten Runde von Hedwig und den anderen mit großem Hallo und trat die restliche Heimfahrt an, wobei von »treten« in dem Fall kaum mehr die Rede sein konnte, denn der Fickel bewegte sich auf seinem Fahrrad eher wie auf einem Waveboard vorwärts. Im Grunde war es kein Wunder, dass er bei dem Geschaukel vollends seekrank wurde.
    Im Englischen Garten begannen ihn die Bratwürste, die in seinem Innern herumschwammen, derart zu würgen, dass ihm tatsächlich nichts anderes übrig blieb, als flugs abzusteigen und sich in die Büsche zu schlagen. Und Zufall oder nicht: Der Brechreiz überkam ihn direkt hinter dem Brahms-Denkmal, just an der Stelle, wo vor wenigen Tagen die Richterin Kminikowski zu Tode gewürgt worden war. Ob das Schicksal ihm damit einen Wink geben wollte, wird für immer dessen Geheimnis bleiben.
    Während der Fickel sich also im Englischen Garten fast die Seele aus dem Leibe spie, soweit das bei einem Konfessionslosen überhaupt möglich ist, zog die Oberstaatsanwältin im Sommerbad ihre Bahnen, wie sie es immer tut, wenn sie frustriert ist. Und weil das, ohne zu übertreiben, ziemlich oft vorkommt, verfügt sie eben über eine Topfigur, während der Fickel seinen kleinen Bauchansatz vor sich her trägt, weil er den Frust buchstäblich eher in sich hineinfrisst. Anthropologisch durchaus interessant, wie sich im Grunde dasselbe Gefühl bei zwei verschiedenen Menschen komplett gegensätzlich manifestiert.
    Die Gundelwein hätte nicht einmal sagen können, wo ihr Ärger aktuell herrührte: Von den schlampigen Richtern, die den Eildienst nicht ordentlich koordinierten, dem behäbigen Kriminalrat, der den Hauptverdächtigen entkommen ließ, oder daher, dass alle, aber auch wirklich alle offensichtlich mit solch einem Feiertag etwas Vernünftiges anzufangen wussten, außer ihr selbst. Das Bad war voller Pärchen und Familien, die Softeis schlabberten und sich gegenseitig mit Sonnencreme den Rücken einschmierten. Selbst auf der Kampfschwimmerbahn musste man höllisch aufpassen, dass man nicht mit einem manövrierunfähigen Hobbyschwimmer kollidierte.
    Obwohl die Oberstaatsanwältin extra einen geschlossenen Badeanzug trug, wurde sie von den fachmännischen Blicken des untersetzten Bademeisters aufmerksam verfolgt. Wohlgefällig beobachtete er, wie die schlanke Silhouette der Schwimmerin elegant und scheinbar mühelos durch das Wasser glitt. Hätte die Gundelwein diese allerdings nicht nur professionellen Blicke des Bademeisters bemerkt, hätte sie ihn gewiss in die Schranken gewiesen. Das harmlose Spiel zwischen den Geschlechtern, das andere junge und jung gebliebene Frauen vielleicht sogar genossen, leichte Flirts, bewundernde Blicke und zweideutige Bemerkungen – all das verabscheute die Oberstaatsanwältin wie das Nachtprogramm von RTL II . Wenn aber der Bademeister seinerseits geahnt hätte, was im Kopf der Oberstaatsanwältin vorging, dann hätte er mit Sicherheit lieber woanders hingeschaut.
    Die Gedanken der Gundelwein drehten sich selbst beim Schwimmen nur um ihre Arbeit. Der Landrat Kminikowski hatte sie, womöglich unabsichtlich, an ihrem schwachen Punkt erwischt: Letztlich war so ein Mord nämlich auch ein Glücksfall, karrieretechnisch betrachtet. Wenn sie sich in dieser Angelegenheit mit übergeordneter Bedeutung bewährte, dann war dies vielleicht die lang ersehnte Chance, endlich den Absprung aus diesem gottverlassenen südwestthüringischen Provinznest zu schaffen. Nach Jena zum Beispiel, oder – sie wagte es kaum zu träumen – sogar Erfurt. In der Landeshauptstadt gab es sicher einige Posten, die für eine Topjuristin ihrer Qualifikation infrage kamen, eine Stelle als Abteilungsleiterin im Landesjustizministerium zum Beispiel, und später vielleicht Staatssekretärin …
    Die Gundelwein pflügte durch das Wasser. Sie spürte, wie die Bronchien sich zusammenzogen. Langsam wurde die Luft knapp, die Sauerstoffversorgung der Muskeln stockte. Trotzdem ließ sie nicht nach. Eine Frau, die in der Justiz Karriere machen wollte, durfte ihren Schwächen nicht nachgeben, niemals! Als sie nach den tausend Metern aus dem Becken stieg, fühlte sie sich einigermaßen erschöpft, aber das Adrenalin spukte immer noch in ihrem Körper herum. Als Erstes holte sie, noch mit nassen

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