Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
möglich, dass das Wort »Verlangen« in dem Kontext ein wenig aus dem Rahmen fällt, aber gesunde Männer in den besten Jahren wie den Fickel verlangt es eben ständig nach irgendetwas, ohne dass sie immer so genau sagen könnten, wonach im Speziellen. Und deshalb hat der Fickel das Wort »Verlangen«, wie die anderen auch, besonders laut und inbrünstig herausgeschmettert.
Allerdings war schon auffällig: Je näher sie der Stadtgrenze von Meiningen kamen, desto mehr Polizeifahrzeuge waren auf den Straßen unterwegs. Glücklicherweise interessierten sich die Beamten jedoch nicht weiter für ein paar angeheiterte Radler. Selbst als der Rainer Kummer dem Mannschaftswagen, der mit Blaulicht an ihm vorbeipreschte, aus purer Lebensfreude eine Bierdusche verabreichte, hielten es die Kollegen nicht mal für nötig zu bremsen, sondern machten ganz souverän den Scheibenwischer an. Jedenfalls wunderten sich bereits jetzt einige Hellsichtige unter den Herrentagsausflüglern, wieso denn ausgerechnet heute, am Feiertag, so ein Großeinsatz stattfand.
Dann gab es noch eine kleine Schrecksekunde, als es den Rainer Kummer mitten auf der bestens gepflasterten Panzerstraße [ 9 ] hingeschmissen hat, weil er mit dem guten Dutzend Bratwürsten und den dazugehörigen Löschbieren intus versucht hatte, freihändig einen Kremser zu überholen. Vielleicht war ihm einfach auch die Rasendüngung nicht so gut bekommen, jedenfalls blieb er zunächst kurz liegen und winkte mit dem Arm wie der gefoulte Christiano Ronaldo. Aber weil er sich partout weigerte, »wegen der kleinen Schramme« einen Krankenwagen zu rufen, wurde er von den Kameraden ins Schlepptau genommen und blutig wie ein französisches Steak daheim bei der Claudia abgegeben. Als Krankenschwester hatte sie durchaus ihre Qualitäten.
Und wie das manchmal so ist: Plötzlich wollten alle nach Hause. Vielleicht weil ein alter Polizeiruf im Fernsehen kam oder weil man sich in der Stadt nicht so frei bewegen konnte wie auf dem Land. Nur mit einer handverlesenen Schar Aufrechter schaute der Fickel noch auf einen Absacker in der Gartenkneipe »Zur blauen Primel« vorbei, weil die Hedwig schließlich jeden Gast und jeden Euro gebrauchen konnte, seit ihr Mann den Schlaganfall gehabt hatte.
Aber als sie in der »Blauen Primel« ankamen, da machte Fickels Handy plötzlich aus heiterem Himmel einen hysterischen Lärm, sodass er das saublöde Teil am liebsten gegen die Wand geworfen hätte, obwohl es ein echtes Hightecherzeugnis war, zumindest Stand vor acht Jahren. Aber zum Glück zeigte ihm einer gerade noch rechtzeitig, wie man so ein modernes Gerät auf »stumm« stellen kann. Hier sieht man mal wieder: Die Kneipe ist die Universität des kleinen Mannes. Und obwohl der Fickel gut einen Meter neunzig misst, ist er dort immatrikuliert.
Weil er nun schon mal vor Ort war, konnte der Fickel natürlich auch nicht sofort wieder gehen. Zumal die geschäftstüchtige Hedwig zur allgemeinen Erheiterung eine Lokalrunde auslobte, falls es einer der Gäste schaffte, die heimischen Rhöntropfen aus exotischen Gesöffen wie Becherowka, Schierker Feuerstein oder Wurzelpeter herauszuschmecken.
Selbstverständlich wollten eigentlich alle Anwesenden die Wette halten, Kinder und Greise ausgenommen, aber die meisten der selbsternannten Kräuterschnapssommeliers scheiterten bereits kläglich in der Vorrunde. Nicht so der Fickel, der das Turnier überlegen für sich entschied! Immerhin hatte er die Rhöntropfen sprichwörtlich mit der Muttermilch aufgesogen, ohne da künstlich einen Vorwurf draus zu konstruieren. Damals im kalten Krieg war man schließlich noch nicht so aufgeklärt über die Gefahren des Alkohols wie heute. Wie überhaupt der Risikoeinschätzung eine Frage des Zeitgeistes ist. So verfügte Fickels beigebrauner Wartburg bemerkenswerterweise zwar nicht über Anschnallgurte für die Rückbank, dafür immerhin serienmäßig über einen beleuchteten Aschenbecher.
Die Lokalrunde zu Ehren seines Triumphes im Kräuterschnapscontest tat Fickels Beliebtheit in der »Blauen Primel« zumindest keinen Abbruch. Und als die Hedwig angelegentlich fallen ließ, dass dieser Tausendsassa im Nebenberuf auch noch Anwalt sei, da meldeten sich gleich drei oder vier bei ihm und meinten, dass irgendwas mit ihren Hartz- IV -Bescheiden nicht stimme und »ob man da nicht was machen könne«. Aber da winkte der Fickel nur müde ab und verwies auf seine nächste Sprechstunde am Sankt-Nimmerleins-Tag. Sogar als Anwalt hat
Weitere Kostenlose Bücher