Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Fingern, ihr Handy aus der Handtasche. Eine SMS war eingegangen: »Verdächtiger in Gewahrsam. Veranlasse alles Weitere. R.«
Der Bademeister blickte leicht befremdet auf die Schwimmerin, die plötzlich am Beckenrand die Faust ballte, als hätte sie gerade den Olympiasieg über achthundert Meter Freistil errungen. An Land bewegte sich dieses weibliche Muskelpaket leider nicht annähernd so elegant wie im Wasser. Enttäuscht drehte er sich in Richtung Nichtschwimmerbecken, wo eine junge Mutter mit ihrem Sohn herumplantschte und dabei nicht bemerkte, wie ihr Bikini verrutschte.
Die Oberstaatsanwältin duschte eilig, zog sich blitzschnell an und raste mit noch nassen Haaren in ihrem kleinen roten Flitzer ins Präsidium, wo sie bereits vom Kriminalrat erwartet wurde. »Er sitzt noch im Vernehmungszimmer. Verweigert die Aussage«, erklärte er zur Begrüßung nüchtern.
Damit hatte die Gundelwein gerechnet. Für einen Beschuldigten war es in den allermeisten Fällen das Beste, er schwieg zu allen Vorwürfen. Jede Aussage, und schien sie auch noch so unverfänglich, konnte sich für ihn später als Bumerang erweisen und seine Glaubwürdigkeit unterhöhlen. Selbst wenn er unschuldig war. Leider hatte sich dieser Umstand schon bis zu den Referendaren herumgesprochen.
»Außerdem verlangt er nach einem Verteidiger«, ergänzte der Recknagel. »Doch leider ist niemand zu erreichen – am Feiertag.«
»Worauf warten Sie noch? Kontaktieren Sie den anwaltlichen Notdienst!«, wetterte die Oberstaatsanwältin. Aber der Kriminalrat war von einer provozierenden Bockbeinigkeit.
»Die Richterin will keinen Anwalt von sonst woher. Das kostet die Staatskasse nur Reisespesen«, erklärte er.
Die Oberstaatsanwältin lachte höhnisch auf. »Schön, dass die Kollegin Driesel so mitdenkt, wenn sie schon ihren Laden nicht im Griff hat!«
Es klopfte, und eine Sekunde später stand die Angesprochene selbst im Raum, in Gummistiefeln und Ballonseide – der Montur, in der sie der wütende Anruf der Oberstaatsanwältin ereilt hatte. Allem Anschein nach war sie bei der Gartenarbeit gestört worden.
»Hier haben Sie Ihren Haftbefehl!«, knurrte die Driesel. »Hätte das nicht bis morgen Zeit gehabt?«
Die Gundelwein lächelte amüsiert. »Sie hätten sich zumindest noch in aller Ruhe umziehen können.«
Eine gewisse Antipathie zwischen den beiden Juristinnen aus zwei verschiedenen Generationen und Kulturkreisen war im Raum fast physisch zu spüren. Der Recknagel wäre jetzt gern nach Hause gegangen, unglücklicherweise befanden sie sich aber in seinem Büro, und es hätte bestimmt keinen guten Eindruck gemacht, wenn ausgerechnet er sich jetzt in den Feierabend verabschiedet hätte.
Von draußen drang tumultartiger Lärm herein, eine Kakophonie aus Vuvuzelas und anderen in Fußballstadien und Kindergärten verbreiteten Tröten. Der Polizeieinsatz war in der Stadt natürlich nicht unbemerkt geblieben. Schnell hatte sich in Meiningen herumgesprochen, dass man den »Robenmörder« geschnappt hatte. Inzwischen waren vor dem Präsidium mehrere Kremser vorgefahren, und einige Dutzend Herrentagsausflügler warteten auf einen Schauprozess oder zumindest eine öffentliche Hinrichtung. Manch einer mochte es da bedauern, dass wir nicht mehr im Mittelalter leben.
Die Driesel räusperte sich: »Wie lange können wir den Angeklagten, ich meine: den Beschuldigten , festhalten?«
Die Oberstaatsanwältin schüttelte milde lächelnd den Kopf. Es war unfassbar, mit welcher Chuzpe, ja Schamlosigkeit die Amtsgerichtsdirektorin ihr prozessuales Unwissen zur Schau stellte.
»Bis morgen vierundzwanzig Uhr, maximal.«
Die Driesel blickte auf die Uhr. »Gut. Dann verfüge ich: Morgen fünfzehn Uhr ist Anhörungstermin. Bis dahin bleibt der Dings … der Beschuldigte in Polizeigewahrsam. Beschlossen und verkündet!«
Die Gundelwein nickte zufrieden und flötete mit leicht ironischem Tonfall: »Wenn Sie bis dahin noch einen Pflichtverteidiger auftreiben könnten … Ich hab jetzt noch etwas vor. – Viel Glück!«
Damit stand sie auf, nickte erst der Driesel, dann dem Kriminalrat zu und verließ den Raum. Jetzt konnte sie doch noch die Vorstellung in den Kammerspielen besuchen, wie sie es ursprünglich vorgehabt hatte. Gegeben wurde das Stück einer jung verstorbenen englischen Autorin, dessen Inszenierungen in Berlin und München vor zehn oder zwanzig Jahren für Furore gesorgt hatten. Viel erwartete sie sich nicht davon, aber alles war besser als das
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