Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Mittagsstunden hatte der René, der sich ansonsten bei seiner Oma eher selten blicken ließ, plötzlich Sturm geklingelt. Er hatte ziemlich gereizt gewirkt, wollte aber keinen Grund für seine Verstimmung nennen. Stattdessen hatte er sich mit seinem Handy im Badezimmer eingeschlossen und wiederholt versucht, seine Freundin Nadin [ 10 ] zu erreichen, doch die war offenbar nicht rangegangen. Da hatte die Frau Schmidtkonz geglaubt, ihr Enkel habe wohl Beziehungsprobleme, wie es bei jungen Leuten eben so vorkommt, damals wie heute.
Doch wenig später hatte schon das SEK aus Erfurt in voller Schutzausrüstung vor der Tür gestanden. Die Elitebeamten hatten jeden Anstand vermissen lassen und den René von Anfang an wie einen Schwerverbrecher behandelt, aus der Liga eines Hannibal Lecter oder sogar eines Jörg Kachelmann [ 11 ]. Obwohl der René keine Anstalten gemacht hatte, sich zu wehren, hatten die Kampfmaschinen vom SEK ihm bei der Festnahme vor den Augen der eigenen Großmutter fast den Arm ausgekugelt, wobei zu allem Unglück auch noch die kostbare alte Vitrine im Flur zu Bruch gegangen war.
»Das wird sich bestimmt alles aufklären!«, meinte der Fickel mit einer großzügigen Portion Zuversicht, während er den hausgemachten Nudelsalat mit Mayonnaise, Jagdwurst und sauren Gurken als Nachspeise vertilgte. »Wir leben ja jetzt in einem Rechtsstaat.«
Als der Fickel seinen Teller fast geleert hatte, fragte ihn die Frau Schmidtkonz mit schlecht verhohlenem Vorwurf, warum er denn nicht ans Telefon gegangen sei. In ihrer Verzweiflung nach dem Besuch des SEK war ihr nämlich nichts Besseres eingefallen, als ihren juristisch bewanderten Untermieter anzurufen. Da hatte der Fickel natürlich ein schlechtes Gewissen, weil er sein Telefon in der »Blauen Primel« stumm geschaltet hatte. Aber als er jetzt sein »Hightechhandy vor acht Jahren« wieder aus der Hosentasche kramte, war auf einmal das ganze Display übersät mit solch kleinen Symbolen. Und sieh mal einer an: Zum ersten Mal überhaupt in seiner Karriere hatte er einen Anruf auf seiner Mailbox! Doch wenn ihm seine pfiffige Vermieterin nicht gezeigt hätte, wie man so eine Nachricht abhört, hätte er wahrscheinlich bis heute keinen Schimmer davon. Dann hätte er sich ohne Gewissensbisse aufs Ohr gelegt, hätte friedlich bis zum nächsten Mittag geschlafen – und der Kelch wäre an ihm vorübergegangen.
So musste der Fickel die Sprachnachricht jedoch gleich zweimal abrufen, weil er nämlich beim ersten Mal glaubte, sich verhört zu haben. Später erinnerte er sich noch oft daran, wie schleierhaft ihm der Sinn folgender, eigentlich unmissverständlicher Worte in jenem Moment erschienen war: »Tag Herr Fickel, Driesel am Apparat. Ich wollte Sie nur darüber in Kenntnis setzen, dass ich Sie soeben als Pflichtverteidiger in dem Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten René Schmidtkonz eingesetzt habe. Es geht um Vergewaltigung und Mord. Seien Sie doch so gut und setzen sich mit dem Knaben in Verbindung, gell? Wiederhören!«
Natürlich musste der Fickel jetzt erst mal überlegen, wer sich da am Herrentag einen Scherz mit ihm erlaubte. Man hatte in der Hinsicht ja schon einiges erlebt. Aber es war unverkennbar die etwas näselnde, fast gelangweilt klingende Stimme der Amtsgerichtsdirektorin, die sich auf seine Mailbox verirrt hatte. Daher blieb dem Fickel wohl oder übel nichts anderes übrig, als sich erneut aufs Fahrrad zu schwingen und der Sache auf den Grund zu gehen, flauer Magen hin oder her. Wenn er wenigstens geahnt hätte, dass er noch mal losmusste, hätte er zumindest auf den Nudelsalat verzichtet.
Als die Frau Schmidtkonz erfuhr, dass ihr Untermieter von höherer Stelle als Pflichtverteidiger für ihren Enkel avisiert war, da lösten sich all ihre Zweifel und Sorgen hinsichtlich dessen Schicksal in Wohlgefallen auf. Denn die alte Dame hielt stets große Stücke auf die Fähigkeiten ihres Untermieters als Rechtsanwalt, was auch damit zu tun haben dürfte, dass ihre einzige Informationsquelle diesbezüglich der Fickel höchstpersönlich war. Andererseits verfügte die Schmidtkonz auch über eine ihren Jahren entsprechende Menschenkenntnis, und die sagte ihr, dass ihr Untermieter den festen Charakter besaß, den solch eine Aufgabe erforderte.
Und wer hätte das gedacht? Kaum dass ihr Untermieter die Wohnung verlassen hatte, schaltete die Frau Schmidtkonz ihren Flatscreen ein, um nun doch noch den Film mit der Neubauer anzusehen, denn ganz wollte sie
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