Herrin der Falken - 3
uns auskundschaften und erfährt, wohin Rakhals Truppen ziehen.«
Auf einmal ergab der Name Kundschaftervögel für Romilly einen Sinn. Sie hatte bisher nie darüber nachgedacht. Sie nahm Prudentia von ihrem Block, löste mit einer Hand die Knoten, die ihr Geschürt sicherten, warf sie ab und blickte ihr nach, wie sie hoch in den Himmel aufstieg. Romilly setzt sich bequem im Sattel zurecht. Einem Teil ihres Bewußtseins, einem sehr kleinen Teil, befahl sie, dafür zu sorgen, daß sie nicht vom Pferd fiel. Und dann…
… hoch hinauf in den Himmel auf starken Winden, höher und höher steigend…
Die Gegend breitete sich unter ihr wie eine Landkarte aus. Sie sah die Windungen des Wasserlaufs und war sich undeutlich einer Präsenz in ihrem Geist bewußt, die sah, was sie mittels ihrer Verbindung mit dem Vogel sah. Durch diese Präsenz, die sie als Carolins Gedanken erkannte, gewann das, was sie sah, Bedeutung, wenn auch nur wie von fern und fast unbewußt. Der größte Teil ihres Ichs flog mit dem Vogel, nahm mit scharfen Augen alles auf, was unter ihr lag. …Das ist das Ufer des Mirin-Sees und dahinter im Norden liegt Neskaya am Rand der Kilghardberge. Und da… ah, Götter, noch ein schwarzer Kreis, nicht die Narbe eines Waldbrandes, sondern ein Ort, auf den Rakhals Männer aus ihren infernalischen Flugmaschinen Haftfeuer vom Himmel regnen ließen! Mein Volk verbrennt und stirbt in Rakhals Feuern, wo es doch mir übergeben wurde und ich mit meiner Hand im Feuer von Hali schwor, es gegen Raub und Überfall zu schützen, solange es mir treu bleibe, und dieser Treue wegen brennt es…
…Rakhal, so wahr Aldones lebt, werde ich dir diese Hand abbrennen, mit der du Unglück und Tod über mein Volk gebracht hast… und Lyondri werde ich wie einen gewöhnlichen Verbrecher hängen lassen, denn das Recht auf einen würdigen Tod hat er verwirkt. Das Leben, das er jetzt führt, in Rakhals Namen Tod und Leiden austeilend, ist unwürdiger als der Tod durch die Hand des Henkers…
Nun über die Kilghardberge, die im Sommergrün leuchten, und die Harzbäume flammen in der Sonne… da erhebt sich wieder ein Turm… schnell, flieg nach Norden, kleiner Vogel, weg von den spähenden Augen der laranzu’in, die in Lyondris Dienst stehen…
Und da ist sie, Rakhals Armee. Ich kann nach Osten marschieren und sie überraschend angreifen, falls sie mich nicht mit Augen wie meinen ausspähen… und ich glaube, es gibt heutzutage außer in den fernen Hellers keine Kundschaftervögel mehr…
Romilly meinte, der schrille Schrei des Vogels gelle aus ihrer eigenen Kehle. Der Kontakt zerriß. Sie saß wieder auf ihrem Pferd, Carolin war aus ihrem Geist verschwunden, Ranald Ridenow unterbrach die Verbindung mit ihr und starrte sie an. Sie schwankte im Sattel, drohte zu fallen, und Maura sagte leise: »Genug. Ruyven, nun bist du an der Reihe.«
Romilly hatte es nicht bemerkt; Ruyven hatte Temperentia zur gleichen Zeit wie sie Prudentia aufgelassen. Auch Diligentia war von Mauras Sattelblock verschwunden. Romilly sah Ruyven zusammensinken… wie sie es getan hatte?… und für einen Augenblick war sie Teil von Ruyven/Ranald/Carolin, flog in Rapport mit dem Vogel, stieß auf die Armee nieder, während etwas in ihr zählte…
Reiter und Fußsoldaten, so viele… Wagen mit Vorräten, Bogenschützen und… o ihr Götter… Evanda schütze uns, den Geruch kenne ich, irgendwo in ihrer Mitte stellen sie schon wieder Haftfeuer her…
Mit purer Willenskraft riß sich Romilly aus dem Rapport los. Die Einzelheiten über Rakhals Armee interessierten sie nicht. Sie wollte das gar nicht wissen. Von dem Entsetzen, das sie in Ruyvens Geist – oder in Carolins – gespürt hatte, wurde ihr übel und schwindelig. Erschöpft hing sie im Sattel, leer, beinahe schlafend. Am Rande ihres Bewußtseins nahm sie wahr, daß die Sonne jetzt wesentlich niedriger stand, fast den Horizont berührte. Das Licht* war so weit verblaßt, daß man sehen konnte, wie sich die große violette Scheibe Liriels, noch nicht ganz voll, über den östlichen Horizont erhob. Romillys Mund war trocken, ihr Kopf schmerzte, und es hämmerte darin, als schlüge ein Dutzend winziger Schmiede auf ihre Ambosse. Die Dunkelheit brach so schnell herein, daß Romilly sich fragte, ob sie im Sattel eingeschlafen sei. Ihr kam es vor, als habe sie sich eben noch den Sonnenuntergang angesehen, und schon sandte Liriel sein violettes Licht vom Himmel. Dann merkte sie, daß Ruyven sie besorgt ansah.
»Bist
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