Herrin des Blutes - Thriller
Überzeugung sprechen hören. »Okay, die Umstände haben uns zusammengeführt. Aber das war Schicksal, verstehst du? Deshalb sind wir genau wie jede andere Sippe – wir können uns unsere Familie nun mal nicht aussuchen. Trotzdem hält man wie Pech und Schwefel zusammen. Verstehst du, was ich damit sagen will?«
Marcy blinzelte Tränen aus ihren Augen. »Ja, schon.«
»Ich weiß, dass du es genauso siehst, Marcy. Und ich bin stolz auf dich. Wir sind Schwestern, wir alle. Ich liebe euch genauso, wie ich meine biologischen Geschwister lieben würde.« Dream schob sich noch weiter durch die Sitzlücke. »Deshalb möchte ich dieselbe Hingabe auch von dir spüren, Ellen. Ich möchte mich darauf verlassen können, dass du das bis zum bitteren Ende mit uns gemeinsam durchstehst.«
Ellen erwiderte zunächst nichts. Marcy beugte sich nach vorne und sah, dass Ellens Hände eisern das Lenkrad umklammerten. Plötzlich kippte der Kopf ihrer Schwester nach vorne und berührte den harten Kunststoff. Sie schniefte, und ihre Schulter zitterte. Dann öffneten sich alle Schleusen, und ihr Körper wurde von einer Reihe heftiger Schluchzer geschüttelt. Dream streichelte ihr über den Rücken und redete ihr gut zu. Marcy wischte sich die warmen Tränen von den Wangen. Nichts hatte sie je so berührt wie Dreams Ansprache. Nie zuvor hatte jemand seine Liebe zu ihr so offen in Worte gefasst. Als sie aus dem rechten Augenwinkel eine huschende Bewegung wahrnahm, riss Marcy den Kopf nach oben.
Alicia war zurück und stand direkt vor der offenen Seitentür. Ihr Mund verzerrte sich zu einem Grinsen. »Gott, da bin ich mal für zehn Minuten weg und ihr Arschlöcher dreht hier euren eigenen Scheißfilm über eure traurige Lebensgeschichte.«
Marcy streckte ihren Mittelfinger in die Höhe.
Alicias Grinsen wurde noch breiter. »Heulkrämpfe und obszöne Gesten.« Sie öffnete die Beifahrertür, stieg auf das Trittbrett und lehnte sich in den Wagen. »Zeit, dass der Östrogen-Express abfährt, bevor eine von euch Schlampen noch anfängt, Thelma und Louise zu zitieren oder irgend so ’nen Quatsch.«
Sie unterbrach sich, als sie die rund um die Vordersitze verstreuten Glassplitter entdeckte. »Ich schätze, da hab ich wohl irgendein Drama verpasst.« Sie musterte Dream, und ihre dunklen Augen wirkten leer und unergründlich. »Muss ich mir Sorgen machen, Dream?«
Ihre Freundin hielt dem unerbittlichen Blick stand, während sich die Lippen zu einem gespielten Grinsen verzogen. »Natürlich nicht. Ich habe lediglich ein Gespräch unter Frauen mit Ellen geführt. Ich glaube, wir kommen jetzt wesentlich besser miteinander klar.« Sie sah das immer noch schniefende Mädchen aufmunternd an. »Das tun wir doch, Ellen, oder?«
Ellen riss sich spürbar zusammen. Sie hob den Kopf vom Lenkrad und wischte sich das Gesicht mit einem Ärmel trocken. Dann tat sie etwas, was Marcy erstaunte – sie schien Alicia ebenso wie Dream mit ihren Augen förmlich durchbohren zu wollen. »Ja, das tun wir. Ich hatte nur einen kleinen Moment der Schwäche.«
Alicias charakteristisches Grinsen kehrte zurück. »Der jüngste in einer sehr, sehr langen Reihe, würde ich sagen.«
»Das ist richtig.« Ellen griff nach Dreams Hand und hielt sie fest. »Deshalb hat Dream mich auch darauf angesprochen. Glaub, was du willst, aber ich sehe nun alles mit anderen Augen. Wohin uns diese Straße auch führen wird, ich möchte dabei sein. Ich möchte wissen, was uns am Ende des Weges erwartet.«
Alicia sammelte ein paar Scherben vom Beifahrersitz auf und entsorgte sie auf die Asphaltdecke des Parkplatzes. »Was auch immer, Dorothy.« Ein winziger Glassplitter blieb in der Kuppe ihres Daumens stecken und der begann zu bluten. Sie schob den Finger in den Mund und saugte daran. »Mmm. Ich weiß aber nicht, ob wie im Zauberer von Oz am Ende des gelben Ziegelsteinwegs ein Palast auf uns wartet. Ich glaube eher, dass es ein böser Ort sein wird. Ein Ort wie der, an dem ich gestorben bin.«
»Das Haus des Blutes«, meinte Marcy.
Alicia wischte den Daumen an ihrer Jeans ab und kletterte in den Wagen. Sie knallte die Tür zu und drehte sich auf ihrem Sitz zu Marcy um. »Das ist richtig, Kleine. Und ich weiß sogar noch etwas. Es wird definitiv eine böse Hexe auf uns warten, wenn wir dort eintreffen.«
Marcy schob die Hände in die Taschen ihrer braunen Kapuzenjacke und rutschte noch weiter in ihrem Sitz hinunter. »Miss Wickman.«
»Verdammt richtig.«
Marcy runzelte die Stirn.
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