Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
alles und jedes wird gespeichert!«
»Ich glaube«, sagte Z., »daß ich Sie beruhigen kann. Das alles wird ganz von selbst wieder verschwinden. Davor sind nicht einmal die berühmtesten Überlieferungen sicher. Zum Beispiel das Domesday Book aus dem Jahr 1086. Weil das Manuskript so kostbar war, hat man es neunhundert Jahre später digitalisiert. Zehn Jahre später war diese Kopie unlesbar, und das Archiv mußte eine neue Version herstellen. Hard- und Software veralten nämlich in einem rasanten Zyklus. Die meisten Systeme sind nicht rückwärtskompatibel. In den Magazinen der National Archives in Washington lagern Magnetbänder aus den 1960er Jahren, die niemand entziffern kann. Um sie wiederherzustellen, wäre ein technischer Aufwand nötig, den niemand bezahlen könnte. Sie können also ganz unbesorgt sein. Die Informationsflut wird ganz von selbst verdunsten und versickern.«
147 Z. hatte eine Pause eingelegt und wollte gerade einen Apfel essen, als eine hübsche junge Frau auftauchte, die eine viel zu große grüne Brille trug und ein winziges Telephon aus der Tasche zog. Vielleicht war sie eine verirrte Journalistin. Sofort feuerte sie eine Salve von Fragen auf Z. ab: »Sind Sie Krebs oder Fisch? Haben Sie einen Business-Plan? Wohnen Sie allein?«
Z. starrte sie verständnislos an. »Das sage ich nicht«, sagte er und biß in seinen Apfel.
148 Die Reporterin hatte rechtzeitig bemerkt, daß sich über dem Park ein heftiges Gewitter zusammenbraute. Sie steckte ihr Gerät weg und war verschwunden. Z. wollte gerade anfangen, über die Bewußtseinsindustrie herzuziehen, da wurde er durch einen Donnerschlag unterbrochen. »Das ist der Beweis, daß es ein Leben diesseits der Medien gibt! Daran sollten wir uns halten«, ermahnte Z. seine Zuhörer, doch die meisten hatte ein plötzlicher Wolkenbruch bereits verscheucht. Z. sah ihnen zu, zog hastig seine Jacke an und griff zu seinem Hut. Der stumme Herr mit der schwarzen Sonnenbrille hatte einen Schirm dabei und verhalf dem Durchnäßten zur Flucht vor den Elementen.
149 Am andern Tag wollte jemand wissen, ob es zu viel Kunst geben könne. »Unbedingt«, erwiderte Z. »und zwar besonders am Bau.«
150 »Und wie ist es mit den Dichtern?« fragte ein anderer. »Gibt es auch von denen zu viele?«
»Da ich nicht in dem Verdacht stehe, dieser Zunft anzugehören«, war die Antwort, »kann ich mich dazu sine ira et studio äußern. Gewiß gibt es viele, die kein Ohr fürProsodie, Tonfall und Metrik haben; auch übertrifft bekanntlich die Zahl der Dichter die ihrer Leser. Doch im Gegensatz zur bildenden Kunst kostet die Poesie wenig, stört kaum im Straßenbild, und abgesehen von ihrem wenig umweltfreundlichen Papierverbrauch ist sie im allgemeinen harmlos. Es sollte daher jedem von Ihnen, der diesen Drang verspürt, unbenommen bleiben, Verse zu schreiben.«
151 »Allerdings sollte, wer es nicht lassen kann, wenigstens höflich genug sein, nur kurze Bücher zu verfassen. Das scheint leider, wenn man den Schaufenstern der Buchhandlungen trauen kann, nur den wenigsten zu gelingen.«
152 Die sandinistische Regierung, sagte Z., habe nach dem Sieg im Bürgerkrieg in der Absicht, den Bildungsstand des Volkes zu heben, eine Reihe von Dichterlesungen angekündigt. Schon vor Öffnung der Lokale sollen sich Hunderte von Poeten eingefunden haben, die begierig waren, den gringos in Versform gehörig heimzuleuchten. Zugleich habe jedoch in Nicaragua ein empfindlicher Mangel an Straßenarbeitern und Klempnern geherrscht, dergestalt, daß gegen die tiefen Schlaglöcher auf den Straßen nichts auszurichten war und daß die Wasserleitungen von Managua trockenfielen.
153 Eine Zensur finde, wie in Artikel 5 GG nachzulesen sei, selbst dann nicht statt, wenn es sich um Revolutionäre, Diktatoren und Philosophen handelt. »Kann jemand von Ihnen«, sagte Z., »den Verfasser der folgenden Zeilen erraten?
›Rauschen hört’ ich’s, sah es blinken,
Ferne Himmel zogen hin,
Tauchten auf, hinabzusinken,
Sanken, höher aufzufliehn.
Als der innre Kampf sich nun geschlichtet,
Blickt’ ich Schmerz und Lust im Lied verdichtet.‹«
Als sich niemand meldete, sagte Z.: »Ganz recht! Der Autor heißt Karl Marx. Und da wir schon beim heiteren Dichter-Raten sind: Wem mag diese Elegie zuzuschreiben sein:
›Doch statt ihn zu rühmen,
reichte, als es die Leier vernahm,
das Volk dem fahrenden Sänger
einen vergifteten Becher
und sprach: Trink,
und sei verflucht.
Wir wollen weder die
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