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Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Norton
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Norden zieht, reiten alle kürzlich zum Krieger geschlagenen jungen Männer und alle Mädchen, die das Alter erreicht haben, in dem sie sich einen Zeltpartner suchen, mit einem unserer Weisen zu den Heldengräbern, wo ihnen dieser die Geschichte der Schlacht mit den Weißhäutigen erzählt.“
    „Warum nannte man sie die Weißhäutigen?“
    „Ihr Haar, selbst das der Jungen, war sehr hell, und ihre Haut war ebenfalls ausgeblichen, obgleich sie doch unter der Sonne reisten. Aber ihre Augen waren am sonderbarsten, denn sie zeigten nur eine Farbe und hatten keine Pupillen, so daß sie silbernen Bällen glichen. Sie sahen aus wie Menschen, so daß wir wohl Gemeinsames mit ihnen haben mußten. Aber sonst waren sie ganz anders.“
    „Und die Seehaie“, sagte Fanyi bestimmt, „sehen auch so aus wie wir alle, aber sie sind erfüllt von einem teuflischen Geist.“
    Sie befestigte die Zweige, an denen das Fleisch steckte, in der richtigen Entfernung vom Feuer. Die Dämmerung brach bereits herein. Rhin war verschwunden, doch Sander konnte dem Kojoten nicht verbieten, daß er sich etwas zu fressen suchte, selbst wenn sie von möglichen Gefahren umgeben waren. Plötzlich schreckte der Schmied auf, und seine Hand fuhr sofort zum Pfeilwerfer, als er eine undeutliche Bewegung im Dunkeln wahrnahm. Beruhigend umfaßte Fanyi seine Hand.
    „Es sind Kai und Kayi“, sagte sie. „Wenn du auch allen Schatten mißtraust, so gibt es doch einige, die Freunde sind.“
    Sie summte leise vor sich hin, um die Fischer zu begrüßen.

Die Woge

    Fanyi faßte zuerst nach dem Kopf von Kai und dann nach dem von Kayi, hielt sie zwischen den Händen und sah den Tieren fest und lange in die Augen. Dann sagte sie: „Sie haben keine Spur von anderen Wesen gefunden. Soweit also ist das Glück uns weiterhin günstig.“
    Vielleicht war ihnen das Glück günstig, dachte San der. Doch es gab keinen Grund, weniger wachsam zu sein.
    Wie zuvor hielten sie auch diese Nacht abwechselnd Wache und schürten das Feuer. Als Sander in den frühen Morgenstunden hin und wieder einen Zweig auf die Glut legte, beobachtete er Rhin, lauschte auf die Geräusche der Dunkelheit und das Rauschen des Flusses.
    Der Angriff erfolgte unerwartet, von einem Atemzug zum nächsten, und kam nicht aus der Finsternis, sondern auf unerklärliche Weise aus seinem eigenen Geist. Sander konnte nicht einmal laut aufschreien, und er wußte nicht, wie er sich verteidigen sollte. Er fühlte sich, als wäre er an einem anderen Ort, den er nicht deutlich erkennen konnte, so wie er auch denjenigen, oder dasjenige, nicht sehen konnte, das ihn gerufen hatte und dabei seinen Willen unterwarf, wie ein Mann ohne große Schwierigkeit Gewalt über ein Kind bekommen kann.
    Er vermochte das Gefühl nicht zu beschreiben; denn es überstieg alles bisher Erfahrene. Seine Gedanken wurden rücksichtslos untersucht, ausgequetscht, befragt nach Informationen, die der andere suchte. Sander sah im Geist sonderbare Szenen: zerstörte Gebäude und in ihnen und zwischen ihnen Bewegung. Doch als er versuchte, sie deutlicher zu sehen, verschwanden sie, und alles änderte sich.
    Es gab nur noch das Feuer und jenseits davon die Nacht. Aber der Kojote hatte den Kopf erhoben; in seinen Augen spiegelten sich die Flammen. Auch die Fischer hatten sich umgewandt und blickten Sander an. Das Mädchen schlief als einzige ruhig und gleichmäßig. Rhin knurrte leise, und kaum hörbar zischte einer der Fischer. Erschöpft und angstvoll hob der Schmied eine Hand zur Stirn und strich sich darüber. Niemals hatte einer der Weisen auch nur eine Andeutung gemacht, daß etwas dergleichen einem Menschen zustoßen konnte. Er hatte sich in den Gedanken eines anderen befunden – war es das, was Fanyi den „suchenden Gedanken“ nannte? Aber wer hatte ihn gesucht und weswegen?
    Kai zischelte und sah Sander drohend und mit entblößten Zähnen an. Der Schmied wich erschrocken vor der feindseligen Haltung des Tiers zurück. Rhin – rasch warf er einen Blick auf den Kojoten – auch er knurrte leise. Doch als er ihm direkt in die Augen sah, verstummte er. Der Schmied, der nie den Versuch unternommen hatte, sich mit dem Kojoten auf die gleiche Art zu verständigen, wie es Fanyi mit ihren Tieren machte, hatte jetzt den Eindruck, daß Rhin, von der Besitzergreifung seiner Gedanken aufgeschreckt, nun verstand, daß Sander wieder er selbst war.
    Der Schmied wollte Fanyi wachrütteln, um sie zu fragen, welches die Ursache für diesen Angriff sein

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