Herrscherin des Lichts
seiner Verachtung für ihren Menschenanteil, aber er hatte schließlich auch allen Grund dazu. War die Menschheit nicht der Feind, der die Elfen in den Untergrund verbannthatte? War es nicht einer von ihnen gewesen, der sein Schwert gegen die Harpyenkönigin geschwungen und die Darkworld ins Chaos gestürzt hatte? Ayla dankte den Göttern, dass Mabb nicht in jener Schlacht gefallen war. Eine flächendeckende Gesetzlosigkeit wäre für die Elfen unerträglich, für sie, denen Rituale und gutes Benehmen über alles gingen.
Ayla schritt durch das große Tor des Palastes. Wie immer wurde die Gasse davor bis auf den letzten Platz von Lightworldern bevölkert, die in ihren provisorischen Unterschlupfen darauf warteten, zu ihrer Audienz bei der Königin vorgelassen zu werden. Für jemanden, der nicht dem Hofstaat angehörte, war es äußerst schwierig, einen solchen Termin zu ergattern. Noch schwieriger für diejenigen, die nicht in einer Gilde oder zumindest in deren Räumlichkeiten untergekommen waren. Für alle anderen, die ihr Dasein außerhalb der Palastmauern fristeten, war es nahezu unmöglich, auch nur ein winziges Fitzelchen von Mabbs Aufmerksamkeit zu erhaschen. Trotzdem nahmen diese bedauernswerten Kreaturen, die es nicht besser wussten, immer wieder massenhaft eine lange Reise auf sich, die manchmal Tage dauerte und durch sehr gefährliche Tunnel führte. Bei ihrer Ankunft nahm einer der Wachleute ihren Namen und den Grund ihres Besuchs auf, markierte dann mit Kreide einen Platz auf dem rissigen Betonboden und bat den frisch Eingetroffenen höflich, sich zu gedulden, bis die nächste Audienz verfügbar sei. Es war jedoch keinesfalls so einfach, wie es sich anhörte. In ihren kurzen fünf Jahren, die sie jetzt in der Lightworld lebte, hatte Ayla schon unzählige Pilger ankommen sehen, geradezu um ein Gespräch mit der Königin bettelnd, und nicht einer von ihnen hatte sie jemals auch nur zu Gesicht bekommen. Einige harrten so lange aus, bis ihre ausgemergelten Körper irgendwann aufgaben. Neue Hoffende wurden geboren, um ihren Platz einzunehmen. Wenn jemand eine Unterredung mit der Königin wünschte, so konnte er darauf warten, bis er schwarz wurde.
Mit hoch erhobenem Kopf und den Blick stur geradeaus gerichtet, bahnte Ayla sich einen Weg durch das Gedränge. Diese Strecke musste Garret jeden Tag zurücklegen, oder zumindest sagte er das. Ayla hatte allerdings Gerüchte gehört, denen zufolge es geheime Gänge geben sollte, die aus dem Palast führten, sodass Mabb in andere Teile der Lightworld reisen konnte, ohne belästigt zu werden. Sicherlich hatte auch Garret Zutritt zu jenen versteckten Pfaden, also nahm Ayla ihm seine Behauptung nicht ab. Niemand würde sich freiwillig diesem deprimierenden Anblick aussetzen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.
Irgendwo schrie ein Baby, ein kleiner Wurm, der zweifellos nicht nur erst vor Kurzem auf die Welt gekommen war, sondern sich bereits mit seiner Geburt in die Massen der Wartenden einreihte. Verschwendet doch nicht euer Leben damit, so eine adlige Müßiggängerin zu vergöttern, dachte Ayla bitter. Alles, wofür Mabb sich interessiert, sind eure Huldigungen und eure Geldstücke.
Eine Hand schloss sich um ihren Knöchel und brachte sie beinahe zu Fall. Sie schaute nach unten und beging den Fehler, der bedauernswerten Gestalt in die Augen zu sehen, die nach ihr gegriffen hatte.
„Bitte“, krächzte die Elfe, dabei eine Zahnreihe mit etlichen Lücken entblößend. Es war keine richtige Elfe, doch sie musste zumindest ein wenig Elfenblut in sich haben, egal wie verwässert, um in der Lightworld geduldet zu werden. „Du trägst das Zeichen der Gildenangehörigen. Kannst du mich zur Königin bringen?“
Bevor sie etwas erwidern konnte, fand sich Ayla unvermittelt von noch weiteren elfenartigen Kreaturen und einem wilden Stimmengewirr umgeben. „Wie sieht sie aus?“, „Ist sie bei guter Gesundheit?“, „Wird sie uns bald empfangen?“
Dann wurde aus den neugierigen Fragen plötzlich ein panisches Kreischen, als eine der Wachen brutal eine Schneise durchden Pulk schlug und Ayla damit einen Fluchtweg eröffnete.
Wie nur, fragte sie sich, konnte Garret so freundlich und großzügig sein, während seine Schwester das genaue Gegenteil verkörperte? Waren die Rollen der Königin und des männlichen Nachkommen derart unterschiedlich?
Es musste wohl so sein, entschied sie, als sie die letzte Tür durchschritt, die das Palastareal von der restlichen Lightworld
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