Herrscherin des Lichts
trennte. In dem Tunnel, der zum Palast führte, reihte sich eine Verkaufsbude an die nächste, allesamt ein buntes Sortiment von Waren mit Mabbs Gesicht oder wenigstens ihrem Namen darauf feilbietend. Erschöpft von der langen Reise durch die Lightworld? Nimm Mabbs Energietrunk! Gebrauchte Siegelringe! Schneller und einfacher zur Audienz durch Dokumente mit Mabbs Originalsiegel!
Garret verlangte es nicht nach dieser Art des Personenkultes, den Mabb um sich geschaffen hatte. Es war ein Jammer, dass ausschließlich weibliche Nachkommen den Thron besteigen konnten. Er hätte solch einen Zirkus gar nicht erst entstehen lassen.
Aber er hatte auch nicht seine Kindheit und Jugend voller Einschränkungen und Verbote verbracht so wie Mabb. Im Gegensatz zu ihm war es ihr nie erlaubt gewesen, den eigenen Interessen nachzugehen. Und sie musste stets ihre Flügel verhüllen, ein königlicher Erlass, den ihre Eltern lange vor ihrem Tod beschlossen hatten, lange vor der Zerstörung der Astralreiche.
Indem sie an der ersten Kreuzung in einen schmalen Paralleltunnel einbog, entfloh Ayla dem Treiben des Palastbasars. Garrets Quartier lag in einem ruhigeren – und exklusiven – Teil der Lightworld, dicht genug beim Palast gelegen, um in einer angemessenen Zeit dorthin gelangen zu können, gleichzeitig aber weit genug entfernt von den Touristen und Pilgern.
Der Tunnel wurde nach und nach breiter und endete an einer langen Betontreppe, die eine Ebene tiefer führte. Ayla öffnete ihre Flügel und schwebte abwärts, das Gewicht ihresSchwertes auf dem Rücken nahm ihrem Flug ein wenig von seiner Eleganz. Es fühlte sich gut an, in offenem Gelände zu sein, endlich die beengenden Räume des Palastes hinter sich gelassen zu haben. Obwohl die Trainingshallen der Gilde reichlich Platz zum Sparring auch in der Luft boten, gab es nichts Schöneres, als einfach die Flügel ausbreiten und fliegen zu können, ohne dabei jederzeit mit einem Angriff rechnen zu müssen, ob nun zu Trainingszwecken oder nicht.
Ayla beneidete Garret um sein Leben außerhalb des Palastes. Seine Existenz hing nicht vom Wohlwollen der Königin ab. Er müsste nicht einmal für seinen Unterhalt arbeiten. Sollte er eines Tages beschließen, es zu lassen, wäre er dennoch gut versorgt. Der Sprössling eines Herrscherpaares zu sein mochte für ihn zwar nicht die Krone mit sich bringen, aber einen angemessenen Anteil am Vermögen seiner Familie. Ein einziges Mal hatte Ayla ihn gefragt, warum er trotzdem noch immer in der Gilde tätig sei. Seine Antwort lautete: „Deinetwegen, Ayla. Ich tue das alles deinetwegen.“ Das hatte sie irgendwie verlegen gemacht, und sie getraute sich danach nicht, diese Frage jemals wieder zu stellen.
Am Ende der Treppe befand sich ein weiterer Tunnel, allerdings nur durch eine im Boden eingelassene runde Öffnung mit einer Leiter erreichbar. Ayla faltete sorgfältig ihre Flügel und schlüpfte mit den Beinen voran in die Öffnung, ließ sich fallen und landete hart auf beiden Füßen. Ein kurzer ziehender Schmerz fuhr durch ihre Knöchel; etwas zu spät überlegte sie, dass sie vielleicht doch lieber die Leiter hätte nehmen sollen. Aber es war gut, den eigenen Körper zu spüren und ein wenig seine Belastbarkeit auszutesten, bevor sie auf die Mission ging, die Garret für sie bereithielt, worum auch immer es sich dabei handeln mochte.
Garrets Quartier war eines von insgesamt vier in diesem schmalen, eckigen Tunnel. Zwei auf jeder Seite, jeweils übereinandergebaut. Am rechten Ende des Tunnels gab es eine Abzweigung,die in einen engen Gang mündete, der tiefer in die Lightworld hineinführte. Das andere Quartier bestand aus einer feuchten Betonmauer, an der Efeu rankte, säuberlich um einen fleckigen steinernen Brunnen herum arrangiert, aus dem ein dünnes Rinnsal rostigen Wassers floss. Es war eine der hübschesten Wohngegenden, die Ayla je gesehen hatte, wobei es für sie selten eine Veranlassung gab, sich die Heimstätten der Lightworld genauer anzuschauen. Garret lebte in einem der Quartiere im Obergeschoss. Stufen oder eine andere Möglichkeit, hinaufzusteigen, existierten jedoch nicht. Diese Unterkünfte waren ausschließlich Elfen vorbehalten. Ayla breitete die Flügel aus und flatterte mit zwei kräftigen Schlägen empor. Oben angekommen griff sie nach der polierten Metallstange neben der Tür. Sie klopfte, und als Garret öffnete, um sie einzulassen, benutzte sie die Stange, um sich mit einer gekonnten Drehung ins Innere zu
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