Herz auf Umwegen
Grit nach und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und lief zurück, direkt zum Wagen. Wütend setzte sie sich hinters Lenkrad und fuhr los. Sollten Grit und Janny doch zu Fuß nach Hause gehen!
Katja merkte, wie ihr Blick langsam verschwamm, allem Widerstand zum Trotz kullerten die Tränen der Enttäuschung über ihre Wangen. Sie wischte sie trotzig weg. Doch es kamen neue, bildeten einen Schleier vor ihren Augen. Unter normalen Umständen wäre Katja in diesem Zustand nicht gefahren. Im Moment fehlte ihr jedoch die Fähigkeit, klar zu denken. Sie wollte nur zurück »nach Hause«, ins Bett fallen, wo sie ihr Gesicht ins Kissen drücken und hemmungslos heulen konnte.
Katja war so sehr mit ihrem Schmerz beschäftigt, dass ihr der silberfarbene Kombi vor dem Sommerhaus zunächst gar nicht gewahr wurde. Als sie das fremde Auto schließlich registrierte, schniefte sie irritiert. Wer war das denn?
Automatisch wischte sie die Tränen aus dem Gesicht, trocknete es, so gut es ging. Katja stieg aus und schaute in die Runde, ob der unbekannte Besucher irgendwo zu sehen war.
»Hallo«, rief sie.
Nichts rührte sich.
»Hallo«, rief sie erneut, diesmal etwas lauter. In der Annahme, der Besucher sei ein ortsunkundiger Urlauber, den es per Zufall hierher zum See verschlagen hatte, suchte Katja mit den Augen das Ufer ab. Doch dort war niemand.
Katja runzelte die Stirn. Komisch, dachte sie. Machte etwa jemand zu so später Stunde noch einen Spaziergang im Wald? Ausgerechnet hier? Tatsächlich hörte Katja in diesem Moment das Knacken eines Zweiges. Sie schaute in die Richtung, wo das Geräusch vermeintlich seine Ursache hatte. »Hallo«, rief sie einmal mehr. Doch nichts geschah. Katja lauschte, bis ihr einfiel, dass der Verursacher wahrscheinlich nur ein Vogel im Unterholz gewesen war.
Katja wurde schlagartig bewusst, dass sie ganz allein war. Die Stille um sie herum fühlte sich mit einem Mal bedrohlich an. Hastig ging sie zum Haus und schloss die Eingangstür auf. Schon im Flur beschlich sie ein seltsames Gefühl. In der Küche verdichtete es sich beim Anblick des Geschirrs, welches sie aus Zeitmangel noch nicht in die Spülmaschine gestellt hatten, und das nun, so meinte Katja zumindest, anders dastand. Im Wohnzimmer lief Katja ein leiser Schauer über den Rücken. Sie war sich absolut sicher, dass die Broschüren zu einem Stapel zusammengeräumt waren, als sie gingen. Nun lagen sie kreuz und quer auf dem Couchtisch, eine sogar auf dem Fußboden.
Katja schluckte, drehte sich abrupt um. Das beängstigende Gefühl, nicht allein im Raum zu sein, griff nach ihr, klammerte sich fest. Während sie noch überlegte, ob sie Grit anrufen oder rauslaufen sollte, hörte Katja in ihrem Rücken ein Geräusch. Reflexartig drehte sie sich um. Mitten in der Bewegung spürte sie einen heftigen Schmerz auf dem Hinterkopf. Der Boden näherte sich wahnsinnig schnell. Dann wurde es dunkel um sie herum.
9. Kapitel
Es dauerte nur Sekundenbruchteile vom Erwachen bis zur Wahrnehmung des Schmerzes. Katja stöhnte. Ein überdimensionaler Pingpongball sprang unbarmherzig gegen ihre Schädeldecke und drohte, ihren Kopf zerplatzen zu lassen.
Katja schlug die Augen auf und sah über sich Janny.
»He, da bist du ja wieder«, sagte die.
Katja blinzelte, erfasste, dass sie auf dem Sofa im Wohnzimmer lag. Janny saß auf der Sofakante neben ihr und musterte aufmerksam ihr Gesicht. Katja schloss die Lider.
»Katja?« Jannys Stimme kam näher, war jetzt dicht über ihr. Eine Hand schob sich vorsichtig unter ihren Kopf und nestelte dort, wie Katja jetzt erst merkte, an etwas Kühlem.
»Sie braucht einen Arzt«, hörte sie Janny sagen. Das Kühle unter ihrem Kopf wurde entfernt. Katja öffnete wieder die Augen und verfolgte, wie Janny ein Handtuch in eine Wasserschüssel tauchte, die auf dem Tisch stand, es wieder herauszog und auswrang. Anschließend schob sie das Handtuch wieder unter Katjas Kopf.
Katja stöhnte erneut. Diesmal nicht nur des Schmerzes wegen. Ausgerechnet Janny war es, die sich um sie kümmerte!
»Wir sollten auch die Polizei anrufen«, meinte sie gerade.
»Aber es fehlt doch gar nichts«, kam Grits Stimme aus der Küche. »Und wir waren so blöd, die Terrassentür offen zu lassen.«
»Trotzdem. Immerhin hat jemand Katja niedergeschlagen.«
»Okay. Wie du meinst.«
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