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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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Ebenbild
     ihrer eigenen dunklen, leidenschaftlichen Seele.
    Auf Höhe des Dampfers blieb sie stehen und sah uns an. Ihr langer Schatten fiel auf den Wasserrand. In ihrem Gesicht war ein
     tragischer, ungestümer Ausdruck von wildem Kummer und stummem Schmerz, vermischt mit der Angst vor einem halb geformten Entschluß,
     mit dem sie innerlich noch rang. Dort stand sie und starrte uns reglos an, wie die Wildnis selbst, als brütete sie über einer
     undurchschaubaren Absicht. Eine |104| lange Minute verging, dann machte sie einen Schritt nach vorn. Ein leises Klingeln ertönte, ein Aufblitzen von gelbem Metall,
     das Wallen von fransigen Stoffen, und sie hielt inne, als hätte ihr Herz ausgesetzt. Der junge Mann neben mir knurrte. Die
     Pilger flüsterten hinter mir. Sie starrte uns an, als hinge ihr Leben ab von der unerschütterlichen Festigkeit ihres Blicks.
     Plötzlich streckte sie die bloßen Arme hoch über den Kopf wie aus dem unwiderstehlichen Bedürfnis, den Himmel zu berühren,
     und im gleichen Augenblick glitten die flinken Schatten über das Ufer, schweiften über den Fluß und umfingen den Dampfer in
     schattenhafter Umarmung. Eine furchterregende Stille lastete über der Szene.
    Langsam wandte sie sich ab, schritt weiter das Ufer entlang und verschwand zur Linken im Busch. Nur einmal noch leuchteten
     ihre Augen im Dämmerlicht des Dickichts auf, bevor sie verschwand.
    ›Hätte sie Anstalten gemacht, an Bord zu kommen, ich glaube wirklich, ich hätte sie zu erschießen versucht‹, sagte der Flickenmann
     nervös. ›Jede Nacht der letzten vierzehn Tage habe ich mein Leben aufs Spiel gesetzt, um sie nicht ins Haus zu lassen. Einmal
     kam sie herein und brach einen Streit vom Zaun wegen der elenden Lumpen, die ich im Lagerraum aufgelesen hatte, um meine Kleider
     zu stopfen. Ich war nicht mehr präsentabel. Zumindest muß es das gewesen sein, denn sie redete über eine Stunde wutentbrannt
     auf Kurtz ein und zeigte dabei immer wieder auf mich. Ich verstehe den Dialekt ihres Stammes nicht. Zu meinem Glück fühlte
     sich Kurtz anscheinend an jenem Tag zu krank, um etwas zu unternehmen, sonst hätte es ein Unglück gegeben. Ich verstehe nicht   ... Nein – es ist zu viel für mich. Ah, jetzt ist das alles vorbei.‹
    In diesem Moment hörte ich Kurtz’ tiefe Stimme hinter dem Vorhang: ›Mich retten – das Elfenbein retten, meinen Sie wohl. Erzählen
     Sie mir nichts!
Mich
retten! Dabei mußte ich |105| Sie retten. Sie durchkreuzen meine Pläne. Krank! Krank! Nicht so krank, wie Sie es gern hätten. Nun, lassen wir das. Doch
     ich werde meine Ideen noch in die Tat umsetzen – ich komme zurück. Ich werde Ihnen schon noch zeigen, was erreicht werden
     kann. Sie mit Ihrer kleinen Krämerseele   – Sie stören mich. Ich komme zurück. Ich   ... ‹
    Jetzt kam der Manager heraus. Er erwies mir die Ehre, mich am Arm zu fassen und zur Seite zu nehmen. ›Es geht ihm schlecht,
     sehr schlecht‹, sagte er. Auch wenn er es für angemessen hielt zu seufzen, legte er keine nachhaltige Traurigkeit an den Tag.
     ›Wir haben für ihn getan, was wir konnten, nicht? Doch es läßt sich nicht verhehlen, daß Mr.   Kurtz der Firma mehr Schaden zugefügt hat, als ihr Gutes zu tun. Er hat nicht verstanden, daß die Zeit noch nicht reif war
     für durchgreifende Maßnahmen. Vorsicht. Vorsicht. Das ist mein Grundsatz. Noch müssen wir vorsichtig vorgehen. Nun ist uns
     der Distrikt eine Zeitlang verschlossen! Bedauerlich. Im großen und ganzen wird der Handel darunter leiden. Ich leugne nicht,
     daß eine bemerkenswerte Menge Elfenbein da ist – das meiste fossil. Das gilt es auf jeden Fall zu retten – aber Sie sehen
     ja, wie schwierig unsere Lage ist – und warum? Weil die Methode abwegig ist.‹ ›Sie nennen die Methode‹, sagte ich mit einem
     Blick zum Ufer, ›abwegig?‹ ›Natürlich‹, rief er hitzig, ›Sie etwa nicht?‹   ... ›Überhaupt keine Methode‹, murmelte ich nach einer Weile. ›Genau‹, frohlockte er, ›ich habe dies alles vorausgesehen.
     Zeigt seinen völligen Mangel an Urteilskraft. Es ist meine Pflicht, die zuständige Stelle davon zu unterrichten.‹ ›Oh‹, begann
     ich, ›dieser Bursche – wie hieß er noch? – der Ziegelmacher – wird gewiß einen lesbaren Bericht für Sie aufsetzen.‹ Einen
     Moment schien er verwirrt. Mir war, als hätte ich nie zuvor eine Atmosphäre solcher Niedertracht geatmet, und innerlich suchte
     ich Linderung bei Kurtz – ja, wirklich

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