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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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Linderung. ›Trotzdem, ich halte Mr.   Kurtz für einen |106| bemerkenswerten Mann‹, sagte ich mit Nachdruck. Er zuckte zusammen, warf mir einen kalten, strengen Blick zu, sagte sehr leise:
     ›Er
war
es‹ und drehte mir den Rücken zu. Meine Stunde der Gunst war vorüber; plötzlich fand ich mich mit Kurtz in einen Topf geworfen,
     als Anhänger von Methoden, für die die Zeit nicht reif war. Auch ich war abwegig. Ach, aber wenigstens hatte ich bei meinen
     Alpträumen die Wahl.
    Tatsächlich hatte ich mich der Wildnis zugewandt, nicht Mr.   Kurtz, der, ich war bereit es zuzugeben, so gut wie begraben war. Und einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, auch ich
     wäre begraben in einer gewaltigen Grube voll von unaussprechlichen Geheimnissen. Ein unerträgliches Gewicht drückte mir auf
     die Brust, der Geruch feuchter Erde, die unsichtbare Gegenwart siegreicher Korruption, die Finsternis einer undurchdringlichen
     Nacht   ... Der Russe tippte mir auf die Schulter. Ich hörte, wie er stammelnd, stotternd etwas hervorbrachte wie: ›Bruder Seemann
     – konnte nicht verbergen – Kenntnis von Sachverhalten, die Mr.   Kurtz’ Ansehen schaden könnten   ... ‹ Ich wartete. Für ihn war Mr.   Kurtz offensichtlich noch nicht in der Grube; ich schätze, er hielt Mr.   Kurtz für einen der Unsterblichen. ›Schön‹, sagte ich schließlich, ›sprechen Sie sich aus. Wie es aussieht, bin ich Mr.   Kurtz’ Freund – irgendwie.‹
    Ziemlich umständlich erklärte er jetzt, daß er, würden wir nicht ›dem gleichen Beruf‹ angehören, die Sache für sich behielte,
     ohne Rücksicht auf die Folgen. Er vermutete, ›auf seiten der weißen Männer gebe es lebhafte Ressentiments gegen ihn, die   ... ‹ ›Sie haben recht‹, sagte ich und dachte dabei an eine bestimmte Unterhaltung, die ich mitangehört hatte, ›der Manager
     ist der Meinung, Sie gehören aufgehängt.‹ Seine besorgte Reaktion auf diese Auskunft erheiterte mich zunächst. ›Ich sollte
     lieber unauffällig verschwinden‹, sagte er ernst, ›ich kann |107| jetzt nichts mehr für Kurtz tun, und sie würden sicher bald einen Grund finden. Was könnte sie auch daran hindern? Es gibt
     einen Militärposten, dreihundert Meilen entfernt.‹ ›Auf mein Wort‹, sagte ich, ›wahrscheinlich machen Sie sich besser davon,
     wenn Sie Freunde unter den Wilden in der Nähe haben.‹ ›Viele‹, antwortete er, ›es sind einfache Leute – und ich brauche nichts,
     verstehen Sie.‹ Er stand da und biß sich auf die Lippe, dann: ›Ich möchte nicht, daß den Weißen hier etwas passiert, aber
     ich habe natürlich auch an Mr.   Kurtz’ Ruf gedacht – nun, Sie sind Seemann wie ich, ein Bruder, und   ... ‹ ›Schon gut‹, sagte ich nach einer Weile, ›Mr.   Kurtz’ Ruf ist bei mir sicher.‹ Ich wußte noch nicht, wie recht ich damit haben sollte.
    Dann senkte er die Stimme und informierte mich, daß Kurtz den Angriff auf den Dampfer befohlen hatte. ›Manchmal haßte er die
     Vorstellung, von hier fortgebracht zu werden – dann wieder   ... Aber ich verstehe nichts von diesen Dingen. Ich bin ein einfacher Mann. Er dachte, es würde euch abschrecken – daß ihr
     aufgeben würdet, wenn ihr ihn für tot hieltet. Ich konnte ihn nicht aufhalten. Ach, im letzten Monat war es fürchterlich.‹
     ›Na schön‹, sagte ich, ›jetzt geht es ihm gut.‹ ›Ja-a-a‹, stammelte er, offensichtlich nicht sehr überzeugt. ›Danke‹, sagte
     ich, ›ich werde die Augen offenhalten.‹ ›Aber, kein Wort – eh?‹ flehte er, ›es würde seinem Ruf schrecklich schaden, wenn
     irgend jemand hier   ... ‹ Mit großem Ernst versprach ich ihm absolute Diskretion. ›Ich habe ein Kanu und drei Schwarze, die nicht weit von hier
     auf mich warten. Ich verschwinde. Könnten Sie mir ein paar Patronen für den Martini-Henry überlassen?‹ Ich konnte und tat
     es auch in angemessener Heimlichkeit. Mit einem Augenzwinkern nahm er sich noch eine Handvoll meines Tabaks. ›Unter Seemännern   – Sie wissen ja – guter englischer Tabak.‹ In der Tür des Ruderhauses drehte er sich noch einmal um – ›Sagen Sie, hätten Sie |108| vielleicht noch ein Paar Schuhe, das Sie entbehren könnten?‹ Er hob ein Bein. ›Sehen Sie.‹ Unter die bloßen Füße hatte er
     sich mit geknoteten Bindfäden ein paar Sohlen befestigt, wie Sandalen. Ich fand ein altes Paar, das er bewundernd betrachtete,
     bevor er es sich unter den linken Arm klemmte. Eine seiner

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