Herz des Himmels (German Edition)
mehr Angst bekam. Die Schreie wurden schwächer und traten in kleinen Abständen an Kaithlyns Ohr. Sie hastete schneller durchs Dickicht. Ohne jegliche Vorsicht, ohne weiter nachzudenken, ohne Gefahren abzuwägen. Ihr Instinkt trieb sie an weiterzulaufen. Ihre Füße verhedderten sich zwischen Wurzeln und Geflecht und sie strauchelte mehrmals, schaffte es aber, nicht zu stürzen.
Der Weg, der sich vor ihr erstreckte wurde zunehmend dichter. Sie musste sich durch eine Wand aus Schlingpflanzen kämpfen, bis sie schließlich auf einer Lichtung stand. Die Sonne schien erbarmungslos nieder und die Lichteinstrahlung war so hoch, dass die Luft waberte und dabei schummrige Effekte kreierte. Kaithlyn fühlte sich, als wäre sie ein Ei, auf einer Herdplatte. Rose brach nur Sekunden später hinter ihr auf die Lichtung. Ein Wimmern zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.
„Kaithlyn“, hauchte sie entsetzt. Sie starrten auf die Ursache des Lärms. Ein junger Mann, wälzte sich gequält auf dem Boden herum. Mit Schmerz verzerrten Gesicht und geschlossenen Augen, warf er sich von Seite zu Seite. Er presste seine Hände, die blutverschmierten waren, gegen seine Schläfen und sein Körper zitterte so heftig, dass regelrechte Schübe ihn durchfuhren, ganz so, als hätte er eine Art Anfall. Seine Arme waren durchzogen von tiefen, blutigen Schnitten. Von seiner edlen Kleidung war nichts mehr übrig geblieben. Sein Umhang, die silberne Weste und seine schwarze Hose waren zerrissen und dreckig. Seine Stimme, inzwischen heiser, brachte nur noch ein klägliches Wimmern zustande. Kaithlyn setzte ihre Tasche ab und bückte sich zu ihm hinunter. Sie wollte nach seinem Arm packen, doch er schlug um sich, wild und ungehalten. Kaine zog Kaithlyn zur Seite, bis sie genug Abstand zwischen sich und den Fremden gebracht hatten.
„Etwas stimmt nicht“, sagte Kaine, die Augen auf den Fremden gerichtet.
„Natürlich nicht“, entfuhr es Kaithlyn verärgert. „Er braucht Hilfe!“
„Wir sollten verschwinden“, zischte Melora eindringlich.
„Wie kannst du ruhigen Gewissens fort gehen? Sieh ihn dir an.“
Der Fremde verlor seine Stimme endgültig und sein Körper erschlaffte. Kaithlyn wagte einen zweiten Annäherungsversuch, dieses Mal hielt Kaine sie nicht zurück. Die Augen des jungen Mannes öffneten sich, zeitgleich griff er blitzschnell nach Kaithlyns Arm. Erschrocken sah sie ihn an. In seinen glutroten Augen spiegelte sich grausige Leere. Er öffnete langsam den Mund. Die Stelle, an der er ihren Arm gepackt hatte, fühlte sich kalt und taub an. Er packte fester zu, die schmalen Lippen zu einem Wort geformt: Spinter .
„Spinter?“, wiederholte Kaithlyn.
„ Spinter “, sagte Kaine laut.
Der Verletzte hob zittrig die rechte Hand, öffnete sie langsam. Zum Vorschein kam ein toter Schmetterling. Seine Flügel waren schwarzviolett, mit blutroten Tupfern überzogen. Die Fühler waren lang und gebogen. Das Tier zuckte mit einem der durchsichtig schimmernden Flügel, halb tot, zerquetscht, durch die Finger des Fremden. Sein Griff lockerte sich, als er in eine Ohnmacht absackte.
„Ein Spinter“, sagte Kaine und jetzt klang er zornig. „Siehst du, was du angerichtet hast?“, blaffte er Kaithlyn an. „Du hast uns in diese Lage gebracht! Melora! Rose! Kommt dichter zusammen!“
Stumm suchte Kaithlyn seinen Blick.
„Horcht!“
Rose sah Kaithlyn genauso ratlos an, wie sie sich fühlte. Das Geräusch kam schnell näher. Es klang wie ein lautes, scharfes Klirren oder Klingen. Es war ein so hoher Ton, dass er ihnen in den Ohren schmerzte. Sie benommen machte.
„Hört zu! HÖRT ZU!“, brüllte Kaine, um den Lärm zu übertreffen. „Spinter sind Illusionsfalter. Sie sind giftig. Was auch immer ihr sehen werdet, was auch immer ihr hören werdet, ihr müsst – “ Seine Stimme wurde so leise, dass Kaithlyn sie kaum noch wahrnahm.
Kling. Kling. Kling .
Wie tausend summende Glocken. Wie tausend Fensterscheiben, die zerschmettert wurden. Die Geräusche waren einfach überall. Kaithlyn wurde schwindelig, übel. Ihre Ohren vernahmen nur das unbekannte, laute Geräusch. Die Umgebung vor ihren Augen begann zu verwischen und ihre Glieder wurden schwerer. Die anderen richteten die Augen zum Himmel. Kaithlyn tat es ihnen nach.
Wie schwarze, dichte Vorhänge, flogen gewaltige Schwärme der dunklen Schmetterlinge aus allen Richtungen, auf die Lichtung zu. Sie flogen zwischen den Bäumen und Pflanzen hervor, kamen aus den Wolken oder aus der Erde.
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