Herz des Winters (German Edition)
kurz, was die Gemeinschaft der Krieger umso fester zusammenschweißte. Kamen mehrere zusammen, wurden Speise und Trank geteilt, um ein Feuer gesessen und Geschichten von Schlachten, Errungenschaften und Heldentaten erzählt.
Doch je länger sie den Gesprächen der anderen lauschte, umso wortkarger wurde sie selbst. Witze prasselten an ihr ab, die Geschichten kamen ihr nur noch wie leere Prahlerei vor. Sie selbst hatte wenig zu erzählen, und das Wenige hatte sie zu tief getroffen, um als Lagerfeuerschwank ausgeplaudert zu werden. Inmitten der lauten, alkoholgelösten Männer kam sie sich einsamer vor als in all der Zeit allein in den Wäldern.
Dennoch zwang sie sich, mit ihnen zu lachen und zu trinken, bis sie wackelig genug auf den Beinen war, um ein frühes Zurückziehen zu rechtfertigen. Sie stapfte durch das Lager und die Dunkelheit zu der Stelle, wo sie Berekh und die Vakkas vermutete, mit denen er sein einsames Mahl eingenommen hatte – getrieben von der Hoffnung, dass er auch ihre Decke ausgebreitet hatte.
Doch Sikaîl holte sie ein, sobald sie den Schein des Feuers verlassen hatte. Obwohl sie außer Hörweite der anderen waren, hielt er seine Stimme gesenkt.
„Können wir reden, Daena?“
„Sik, ich bin müde. Hat das nicht bis morgen Zeit?“
„Ich mache mir Sorgen um dich.“
Sofort war sie bereit zum Gegenangriff. „Ich kann gut auf mich selbst aufpassen, danke.“
Zu ihrer Verwunderung wich er zurück. „Das weiß ich doch. Aber manchmal brauchen wir jemanden, der uns den Rücken stärkt, schon vergessen?“
Ungewollt drängten sich die Worte ihrer Lehrmeister in ihr Gedächtnis: Zwei Kämpfer, die nicht aufeinander Acht gaben, waren eine größere Gefahr füreinander als für den Gegner. Sie mussten die Schwächen des anderen ausgleichen und seinen Rücken stärken – nur so konnte jeder von ihnen sich auf das konzentrieren, was vor ihm lag. Und das bedeutete, man musste die Schwachpunkte seines Mitstreiters kennen.
Daena seufzte. Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl, den Sikaîl ihr gab, und sie wollte nicht warten, bis er ein weiteres Mal damit ausholen musste. Also nickte sie und folgte ihm zu einer relativ windgeschützten Stelle, doch ohne Feuer und wärmende Decken kroch ihr auch so bald der Frost in den Leib. Zum Glück kam Sikaîl rasch zur Sache.
„Hast du es ernst gemeint gestern? Dass du nicht mehr kämpfen willst?“
Sie nickte, und sein sonst so fröhliches Gesicht sackte zusammen.
„Was hat dich so verändert? Du hast heute Abend keine einzige Geschichte erzählt, du bist abweisend, aggressiv ...“
Daena war froh, dass er seinen offensichtlichen Gedanken nicht erneut aussprach: dass Berekh derjenige war, der sie veränderte. Trotzdem fühlte sie die Wut in sich schwelen und schluckte sie nur aufgrund seines eben geäußerten Vorwurfs ihrer Aggressivität hinunter. Sie suchte nach einem Weg, ihre Gefühle auszudrücken, ohne ihm zu nahe zu treten, und fand keinen. Mit einem Mal fühlte sie sich innerlich unglaublich alt.
„Bei all den Geschichten“, begann sie vorsichtig, „die heute erzählt wurden, frage ich mich, ob eigentlich irgendjemand von euch ahnt, worauf er sich eingelassen hat.“
Sikaîl war empört. „Natürlich wissen sie das, denkst du, ich lasse meine Männer im Unklaren darüber, wohin unsere Reise geht?“
„Das meine ich nicht. Ich meine: Hat auch nur einer von ihnen jemals gegen einen Moroch gekämpft?“
Einen Augenblick lang sah er sie verblüfft an, dann lachte er. „Natürlich nicht, niemand hat das.“
Als er den düsteren Ausdruck bemerkte, den ihr Gesicht annahm, erstarb das Lachen allerdings auf seinen Lippen. Sein Blick wanderte unwillkürlich zu den Narben auf ihren Wangen. Narben, die bei genauerem Hinsehen verdächtig nach Krallenspuren aussahen.
„Ich habe gegen einen gekämpft, und dafür gebüßt. Vier Jahre Sklaverei in den Minen. Jeden Tag Blut, Tod, Schmerz und Erniedrigung. Durch einen Gegner, gegen den man nichts ausrichten kann. Und durch Mithäftlinge, die sich in Echsenaugen durch genug Grausamkeit ausgezeichnet haben, um von den niederen Diensten befreit zu werden.
Du hast gefragt, was mich verändert hat. Da hast du deine Antwort, auch wenn du sie enttäuschend findest. Es war das Leben selbst, kein Zauberer und kein schlechter Einfluss. Diese eine Sache möchte ich versuchen, richtig zu machen. Um meine Fehler wieder gut zu machen und versäumte Gelegenheiten nachzuholen. Deshalb bin ich hier: um Leben zu
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