Herz des Winters (German Edition)
so viele waren sie davon ausgegangen, eine Ausbildung würde auf eine schwere Geldbörse hindeuten, doch das Gegenteil war der Fall: Wer seine Kinder nicht ernähren konnte, sandte sie zu einer der Gilden, die die Kosten für die nächsten Jahre übernahmen und das Geld von den Schülern selbst zurückbekamen, sobald diese ihrem erlernten Beruf nachgingen.
Also hatte Daena den Entschluss gefasst, zu fliehen, solange es ihr noch möglich war. So sehr ihr der Gedanke widerstrebt hatte, den beiden für ihre geleistete Hilfe nichts zurückzugeben und im Gegenteil noch Proviant, Kleidung und ein vielseitig verwendbares Küchenmesser zu stehlen, war sie bereit gewesen eher zu töten als noch einmal zuzulassen, dass man sie als Eigentum oder Pfand missbrauchte. Bei Nacht und Nebel war sie aus dem Fenster geschlüpft und gerannt, was ihr geschundener Körper hergegeben hatte.
Sie war erst zur Ruhe gekommen, als sie wieder auf Straßen und Dörfer gestoßen war und nachfragen konnte, wo sie sich befand. Zwar hatte sie keine Ahnung, wo die Mine lag, aus der sie entkommen war, doch sie wusste, in welchem Dorf sie gefangen genommen worden war und die ungefähre Richtung, in die sie während der ersten Tage verschleppt worden war. Dadurch hatte sie sich auf die Suche nach Berekh machen können.
Nach all den erlittenen Misshandlungen, Entbehrungen und Misstrauensbrüchen hatte sie förmlich nach der Gesellschaft eines Bekannten gegiert, beinahe mehr als nach Nahrung oder Unterkunft. Als sie endlich die richtige Stelle gefunden und den zeternden Schädel von Erde und Dreck befreit hatte, waren ihr Tränen der Erleichterung heiß und brennend über die Wangen gelaufen. Sie hatte ihn an sich gepresst wie den größten Schatz, den man auf der Welt zu finden hoffen kann.
***
Auch wenn Daena in ihrer Erläuterung Sikaîl sowohl Berekhs Rolle als auch Jan und Ena verschwieg, musste ihm klar geworden sein, dass diese Geschichte nicht für Lagerfeuer oder fremde Ohren geeignet war. Eigentlich nicht einmal für einen Freund, denn sechs Jahre waren nicht genug Zeit, um solche Wunden im Herzen heilen zu lassen. Diesmal erhob er keine Einwände, als sie sich für die Nacht verabschiedete und auf die Vakkas zuging.
Ihre Müdigkeit war zum Großteil verflogen, ebenso wie der leichte Schwips, der die trüben Gedanken ferngehalten hatte. Dennoch war sie dankbar für das fertige Lager und die Wärme der Decke, die eindeutig magischen Ursprungs war. Sie schlüpfte darunter und registrierte ohne Verwunderung, dass Berekh sie dabei beobachtete. Beim Anblick ihrer feuchten Augen verdüsterte sich sein Gesicht.
„Was ist passiert? Was hat er getan?“
Daena war innerlich zu leer, um zu entscheiden, ob sein wachsames Auge über sie belustigend oder ärgerlich war. Daher zuckte sie nur unbeholfen mit den Schultern. „Nichts. Nur Erinnerungen.“
Zu ihrer eigenen Überraschung fand sie sich in seinen Armen wieder, wo er sie hielt, während ihre Tränen auf seine Schulter sickerten. Auch dann noch, als alle Tränen längst versiegt waren und sie in erschöpften Schlaf gefallen war.
***
Als Berekh erwachte, wusste er sofort, dass er alleine war. Doch noch nicht lange, der Platz an seiner Seite war noch warm. Wider besseres Wissen gab er sich einen Augenblick noch der Erinnerung an das Gefühl ihres Körpers so nahe an seinem hin, ehe er sich dazu aufraffen konnte, die Augen zu öffnen und sich der Realität des Morgens zu stellen.
Diese war in der Tat recht enttäuschend. Rings herum reckten sich mehr oder minder verkaterte Kerle und versuchten erfolglos, ein Feuer zu entfachen. Schneefall hatte eingesetzt und den spärlichen Vorrat an Feuerholz, den sie zusammengetragen hatten, feucht werden lassen. Was eindeutig nicht für die waidmännischen Fähigkeiten der Truppe sprach.
Noch unerfreulicher war jedoch der Anblick von Daena und Sikaîl, die abseitsstanden und in ein Gespräch vertieft waren. Was auch immer zwischen den beiden gestern Abend vorgefallen war, es hatte einiges verändert. Sikaîl betrachtete sie mit deutlich mehr Respekt und unverhohlenem Interesse, das Berekh ganz und gar nicht gefiel. Daena warf dem Saren ihrerseits Blicke zu, die undeutbar waren – und das gefiel Berekh noch weit weniger. Doch er konnte nicht umhin, mit einem gewissen Triumph daran zu denken, dass er es gewesen war, bei dem sie Trost gesucht hatte. Nicht, dass er gedachte, irgendetwas in diese Richtung zu unternehmen. Er selbst hatte sich schließlich dem
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