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Herz des Winters (German Edition)

Herz des Winters (German Edition)

Titel: Herz des Winters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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retten. Aber danach … Ich finde, ich habe genug Leute sterben sehen, mehr wahrscheinlich als all die Männer dort am Feuer zusammen. Meine Zeit zu kämpfen neigt sich ihrem Ende zu.“
    Der Sare benötigte einige Sekunden, um seine Fassung wiederzuerlangen. Er räusperte sich und strich mit der Hand durch das blaue Haar, sichtlich verlegen und doch unfähig, die eine Frage nicht zu stellen, die sie all die Zeit befürchtet hatte.
    „Wie bist du entkommen?“
    ***
    Daena hätte sich nichts mehr gewünscht, als zu lügen. Sie hätte gerne von einem Aufstand in den Minen erzählt, von improvisierten Waffen, dem Sieg und der Befreiung der Sklaven und dem Tod der reptilen Peiniger.
    Doch die Wahrheit war weder heldenhaft noch glorreich.
    Ob sich die zahlreichen Wunden, aus denen ihr Körper damals einzig und allein noch zu bestehen schien, entzündet hatten oder der Unrat, den sie als Essen erhalten hatte, allzu verdorben war; ob sie eine der grassierenden Infektionen erwischt hatte, die giftigen Schwermetalle, die sie tagtäglich einatmen hatte müssen, endlich ihre Wirkung gezeigt hatten oder alles zusammen – eines Tages hatte in ihr das Fieber gewütet.
    Sie hatte die morgendliche Portion Wasser erbrochen, und als nichts mehr in ihr gewesen war, das hinaus gewollt hätte, immer noch Galle hochgewürgt. Bleierne Glieder waren nichts Neues in den Minen, doch von Schwindel gepackt, war es ihr kaum möglich gewesen, gerade zu gehen, geschweige denn einen grauen Stein vom nächsten zu unterscheiden. Wer jedoch nicht arbeiten konnte, erlebte den Abend nicht, also hatte sie sich trotz des Deliriums durch die Gänge geschleppt.
    Aber was den Morochai entgehen hätte können, war den Mitgefangenen nicht verborgen geblieben. Ehe Daena es sich versehen hatte, war Alarm geschlagen worden. Nächstenliebe zählte nicht viel in den Minen, wo jeder um sein eigenes Leben bangte. Und je länger man jemanden um sich hatte, der fieberte, desto größer war die Chance, selbst dem Tode geweiht zu werden.
    Eines musste man den Echsen zugutehalten: Sie waren zivilisiert, zumindest was ihre Kulinarik betraf. Krankes Fleisch kam ihnen nicht zwischen die Reißzähne. Es wurde mit den anderen Abfällen und ohne weiteres Aufsehen in einer offenen Grube entsorgt, den Rest erledigten die Ratten.
    Ihre einzige Heldentat bestand also darin, trotz ihrer Schwäche irgendwie aus der Grube herausgekrochen zu sein und an den umliegenden verschmutzten Gräsern herumgekaut zu haben in der Hoffnung, etwas zu erwischen, das das Fieber senken konnte. Daran, wie ihr das gelungen war, konnte sie selbst sich nicht mehr erinnern, ebenso wenig wie an die darauf folgenden Tage und Nächte, in denen sie sich unaufhaltsam vorangequält hatte – egal wohin, nur fort von den Minen.
    Zu sich gekommen war sie erst unbestimmte Zeit später, in einem fremden Bett und umgeben von allerlei getrockneten Kräutern, Destillaten und anderen Seltsamkeiten. Die Gesichter, die sich über sie gebeugt hatten, hatten dagegen umso freundlicher gewirkt. Vor allem, wenn Daena die abgehärmten Mienen bedachte, die das Positivste gewesen waren, was sie in den Jahren davor hatte erwarten können.
    Insgesamt war es also nicht weiter verwunderlich, dass sie erst einmal hochgefahren war wie von der Tarantel gestochen, nur um gleich darauf mit bohrenden Kopfschmerzen und unter der beschwichtigenden Stimme des alten Pärchens zurück in die Kissen zu sinken.
    Jan hatte sie seiner Erzählung nach im Wald gefunden, wo sie halb verhungert, im Fieberwahn und unter Halluzinationen versucht hatte, vor ihm zu fliehen, und sie zu seiner Frau Ena nach Hause gebracht. Die beiden hatten lange genug in Abgeschiedenheit fernab der Dörfer gelebt, um sich neben anderen Dingen auch ein breites Wissen an Kräuterheilkunde anzueignen, das sie Daena hatten angedeihen lassen.
    Es hatte zwar fast eine Woche gedauert, bis sie das Bewusstsein wirklich wiedererlangt hatte, doch danach war ihre Genesung erstaunlich rasch vorangegangen. Ebenso rasch hatten die anfangs noch im Plauderton gestellten Fragen begonnen, immer aufdringlicher zu werden. Woher sie denn kam. Wer ihre Eltern waren. Welcher Art die Ausrüstung gewesen war, die sie verloren hatte. Ob auch Schmuck darunter gewesen war.
    Je stiller Daena geworden war, desto nachdrücklicher hatten sie nach Antworten verlangt. Als ihr herausgerutscht war, was die Tätowierung auf ihrem Arm bedeutete, hatte sie die Gier in den Augen der Alten aufblitzen gesehen. Wie

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