Herz in Fesseln
Ohrclips –, die hochhackigen Abendsandaletten sowie der elegante Haarknoten vervollständigten den perfekten Look einer durch und durch selbstsicheren Karrierefrau. Anna hoffte nur, dass niemand das leichte Beben ihrer Hände bemerkte, als sie an Damons Seite das Foyer seines Hotels betrat.
„Wohin gehen wir?“ Sie warf ihm einen irritierten Blick zu, als er sie zum Aufzug dirigierte. „Der Speisesaal ist doch im Erdgeschoss.“
„Das ist richtig, aber dahin wollen wir auch nicht.“
Die Art, wie er sie dabei anlächelte, trug nicht gerade dazu bei, Annas ungutes Vorgefühl zu zerstreuen. Als Damon ihr eröffnet hatte, dass sie nicht in einem Restaurant, sondern in seinem Hotel essen würden, hatte sie ihm unmissverständlich die Grenzen dieser Verabredung klargemacht. Aber würde er sich auch daran halten? Inzwischen kannte Anna sein Talent, über Umwege schließlich doch seinen Willen durchzusetzen. Während der Lift sich lautlos aufwärtsbewegte, verstärkte sich das nervöse Flattern in ihrem Magen.
„Ich muss noch kurz duschen und mich umziehen“, infor mierte Damon sie gut gelaunt, als er sie kurz darauf über einen breiten Korridor führte. „Und danach dinieren wir ganz privat in meiner Suite.“ Er blieb stehen und öffnete eine Tür, die zu einem großen, luxuriös ausgestatteten Salon führte.
Anna registrierte die eleganten Möbel und den kleinen, für zwei Personen gedeckten Esstisch. Am gegenüberliegenden Ende des Raums befand sich eine Tür, die vermutlich zu Damons Schlafzimmer führte. Mittlerweile waren ihre Nerven so angespannt, dass schon der bloße Gedanke daran genügte, um sie in Panik zu versetzen.
„Was ist los?“ Als Damon ihren eisigen Gesichtsausdruck bemerkte, verschwand sein Lächeln. „Hast du irgendwelche Einwände?“
„Sehr viele“, erwiderte Anna scharf. „Zum Beispiel, dass du mich ausgetrickst hast, um nur einen davon zu nennen.“
„Und in welcher Weise, wenn ich fragen darf?“ Damons eben noch gelöste Züge wirkten plötzlich hart und unnahbar. „Soweit ich mich erinnere, hast du aus freien Stücken meine Einladung angenommen.“
„Ja, weil ich naiverweise davon ausgegangen bin, dass wir den Abend in einem öffentlichen Restaurant verbringen würden und nicht in deinem Hotelzimmer!“
Damon kniff die Augen zusammen und betrachtete sie eingehend. „Was ist eigentlich dein Problem, Anna? Glaubst du ernsthaft, ich hätte dich hierher gebracht, um dich zu verführen?“
„Ist es nicht so?“, forderte sie ihn heraus.
Er antwortete nicht, und je länger sich das Schweigen hinzog, umso beklommener wurde Anna zumute. Der angespannte Zug um seinen sinnlichen Mund verriet ihr, dass sie ihn auf unverzeihliche Weise beleidigt hatte. Doch nun war es zu spät, um ihre Worte zurückzunehmen.
„Damon, ich …“, hilflos verstummte sie und streckte ihm stattdessen versöhnlich die Hand hin.
„Warum fährst du nicht nach unten und wartest in der Lounge auf mich?“, schlug er vor, ohne die Geste zu beachten. Sein unbeteiligter Tonfall machte deutlich, dass es ihm ebenso recht gewesen wäre, wenn sie den nächsten Bus nach Hause genommen hätte. „Wir treffen uns dort in zwanzig Minuten. Vielleicht hast du dir ja bis dahin überlegt, ob du das Risiko eingehen willst, mich in den Speisesaal zu begleiten.“ Damit drehte er sich um und verschwand im angrenzenden Zimmer.
Was war eigentlich ihr Problem? Sie wünschte, sie könnte Damon eine einfache Antwort auf diese Frage geben, aber die gab es nicht. Wie sollte sie ihm auch die verheerende Wirkung erklären, die die Nachstellungen ihres Stiefvaters in ihrer Seele hinterlassen hatten? Den Albtraum ihrer Schulferien, während derer sie verzweifelt versucht hatte, dem Mann aus dem Wege zu gehen, der ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit genüsslich beschrieb, was er gern mit ihr tun würde …
Zum Glück war sie ausgezogen, bevor Phil seine schmutzigen Fantasien in die Tat umsetzen konnte. Aber sie war damals ein leicht zu beeinflussender Teenager gewesen, und die widerlichen Szenarien, die Phil immer wieder heraufbeschwor, hatten sie jede Nacht bis in den Schlaf verfolgt.
Und dieser Albtraum quälte sie noch heute.
Obwohl sie Damon noch nicht lange kannte, war Anna zutiefst davon überzeugt, dass er nicht das Geringste mit ihrem Stiefvater gemeinsam hatte. Und doch hatte sie ihn behandelt, als wäre er Jack the Ripper. Bei der Erinnerung krümmte sie sich innerlich vor Scham. Was sollte sie jetzt tun?
Weitere Kostenlose Bücher