Herz in Gefahr (German Edition)
dem Tod.«
Nun begann der Junge zu halluzinieren. Undeutliche Fetzen, die an die Laute gemarterter Tiere erinnerten, entrangen sich seinem Mund. Und wieder zuckte und wand sich sein Körper unter leidvollen Krämpfen, die von Anfall zu Anfall an Stärke zunahmen. Margaret hatte die Hände des Kindes, das auf ihrem Schoß lag, fest in die ihren genommen. Sie hielt Andrews Beine kräftig zwischen ihre Schenkel gepresst, um zu verhindern, dass sich der Junge, der wie wild um sich schlug, noch mehr verletzte. Noch einmal bäumte er sich auf, dann ließ der Anfall endlich nach. Die stoßweisen Zuckungen gingen in ein Zittern über, das an heftigen Schüttelfrost erinnerte. Andrews Glieder beruhigten sich allmählich, und auch der Atem, der stoßweise und röchelnd aus seinen Lungen hervorbrach, wurde nun gleichmäßiger. Margaret sprach in liebevollen Worten zu ihm.
»Sei ganz ruhig, mein Kleiner, mein Sonnenschein. Gleich kommt Hilfe, und alles wird wieder gut. Du musst nur noch eine kleine Weile durchhalten. Du schaffst es.«
Vorsichtig bettete sie Andrew ins Gras. Beruhigend streichelte sie das kleine Gesicht – und hielt plötzlich inne. Sie hatte einen schmalen, roten Kratzer gefühlt, nicht größer als einen halben Zoll, der sich über die linke Wange des Jungen zog. Er wäre kaum zu erkennen gewesen, hätten sich die schmalen Wundränder nicht schwarz verfärbt. Der Tropfen einer hellroten Flüssigkeit, die man nicht mit Blut verwechseln konnte, war von der winzigen Verletzung aus ein Stück über die Wange gelaufen und dann zu einem kleinen, blassrosa Fleck eingetrocknet. Mit den wissenden Augen der Heilkundigen erkannte Margaret, dass das Kind vergiftet worden war. Ihre Gedanken gingen zurück zu der Szene, die sich vorhin auf der kleinen Waldlichtung vor ihren Augen abgespielt hatte. Noch einmal sah sie dengroßen Unbekannten mit dem schwarzen Umhang und der Kapuze vor sich. Sie sah, wie er zum Schlag ausholte und ein glitzernder Sonnenstrahl dabei den Ring mit dem glutroten Stein an seiner Hand berührte und ihn aufleuchten ließ wie das todbringende Feuer der Hölle ...
»Der Ring! Es war der Ring mit dem roten Rubin!«, flüsterte sie entgeistert. Von furchtbarem Grauen erfasst, schüttelte sie den Kopf, als wolle sie jede Erinnerung an frühere Geschehnisse daraus verbannen. Mit erbarmungsloser Klarheit erkannte sie, dass jede Hilfe für den Jungen zu spät kam, dass niemand mehr die tödliche Wirkung des Giftes aufhalten konnte. Ein entsetzlicher Schrei, aus den verborgensten Tiefen ihres Herzens kommend, machte sich Luft.
»Nein!!!«, schrie sie, dann brach sie hemmungslos weinend neben dem sterbendem Kind zusammen. Sie wälzte sich in unendlicher Qual auf dem Boden, schlug sich mit den geballten Fäusten auf die Brust, um den Schmerz und die Schuld, die in ihrem Inneren brannten, zu töten.
Erst ein erneuter Krampfanfall des Jungen brachte sie wieder zur Besinnung. Ruhiger geworden, barg sie das Kind abermals auf ihrem Schoß und hielt es fest, bis die Zuckungen schwächer und schwächer wurden und schließlich ganz verebbten. Noch einmal schlug der Junge die Augen auf und sah Margaret an. Aus seinen Blicken sprach die unendliche Qual und ein herzzerreißendes Flehen. Dann wurden seine Augen trüb.
Andrews Gesicht, eben noch qualvoll verzerrt, entspannte sich und nahm einen ruhigen, beinahe heiteren Ausdruck an. Nur die blutig gebissenen Lippen und der weißliche Schaum um seinem Mund zeugten noch von den Leiden der Krampfanfälle. Seine Finger, im Anfall zu Fäusten geballt, lockerten sich. Die Brust, die sich gerade noch keuchend und rasselnd gehoben undgesenkt hatte, ward still und gelöst. Der quälende Kampf hatte ein schreckliches Ende gefunden. Andrew war tot. Die Stille, die auf einmal über der Waldlichtung lag, wirkte wie vom Hauch der Ewigkeit berührt. Kein Vogel sang, kein Blatt bewegte sich im Wind, selbst das leise Murmeln des Baches schien verstummt. Für einen Augenblick war die Zeit stehen geblieben.
Margaret strich noch einmal liebevoll und in unendlichem Leid gefangen mit der Hand über die Wange des Jungen und entfernte das Holzstück, das ihm noch immer zwischen den Zähnen steckte. Sie schloss seine Augen, die blau und getrübt ins Unendliche gerichtet waren, und faltete die kleinen Hände, noch vom Spielen am Bach beschmutzt, auf seiner Brust. Dann kniete sie neben dem kleinen Leichnam nieder, senkte das Kinn auf die Brust und begann inbrünstig zu beten. »Herr, mein
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