Herz in Gefahr (German Edition)
draußen seinen Hengst losbanden und wegführten. Verflucht, dachte Robin, das hat mir gerade noch gefehlt. Wie soll ich nun ohne Pferd nach Canterbury kommen?
Die Wirtin war eingenickt und schickte laute Schnarchtöne durch die stille Wirtschaft. Robin nutzte die Gelegenheit und schlich, ohne weiter auf das Knarren der Treppenstufen zu achten, zur Küchentür. Maude stieß einen gewaltigen Grunzlaut aus, dann erwachte sie von ihrem eigenem Schnarchen und sah sich verdutzt um. Robin zog blitzschnell und geräuschlos die Tür hinter sich zu und bemühte sich, seinen lauten Atem zu dämpfen. Mit klopfendem Herzen stand er an der Innenseite der Küchentür und lauschte auf die Geräusche im Schankraum. Die beiden Bauern hatten das Pferd inzwischen in Sicherheit gebracht. Sie kehrten laut polternd in die Wirtsstube zurück und riefen nach einem neuen Krug Ale. Robin hörte die Wirtin aufstehen, hörte schlurfende Schritte, die sich gemächlich der Küche näherten. Mit einem Satz sprang er hinter ein großes Butterfass und versteckte sich dahinter, so gut er konnte. Schon kam die Wirtin in die Küche. Sie schnäuzte sich kräftig in einen Zipfel ihrer Schürze, dann griff sie zum Zapfhahn und füllte den Krug. Robin hielt den Atem an. Er wagte nicht, sich zu rühren, aus Angst, dass das leiseste Geräusch in verraten könnte. Endlich hatte die dicke Maude ihre Arbeit beendet und watschelte behäbig zurück in die Schankstube. Nun konnte Robin nichts mehr aufhalten. Er kam hinter dem Butterfass hervor, verließ die Küche auf schnellstem Wege durch den Hintereingang, nachdem er im Laufen nach einem Käse und einem Brot gegriffen hatte, die auf dem Tisch lagen, und fand sich im Hinterhof der Gastwirtschaft wieder, der von einem hohen Zaun begrenzt war. Soll ich versuchen, meinPferd aus dem Stall zu holen?, überlegte Robin für einen kurzen Moment. Dann verwarf er den Gedanken schnell wieder. Ohne Pferd würde er zwar längere Zeit bis Canterbury brauchen, doch fiel ein einsamer Wanderer weniger auf als ein Mann auf einem Pferd, nach dem alle Welt suchte. Doch was war mit den Satteltaschen? Nein, er brauchte so schnell wie möglich ein neues Reittier. Gleich morgen musste er sehen, wo er eins kaufen konnte. Robin lauschte in die Dunkelheit. Alles blieb still. Die Männer und die Wirtin schienen seine Flucht noch nicht bemerkt zu haben. Robin atmete auf und sah sich um.
Unterdessen hatte es zu regnen begonnen. In dichten Strömen ging das Nass auf die Erde nieder. Robin schwang sich geschickt über den Zaun und rannte im Laufschritt aus dem Dorf, das nun im Nachtschlaf lag.
10. Kapitel
Am hellen Vormittag des darauf folgenden Tages kam der Rittmeister von seinem Besuch beim Earl of Clifford zurück. Seine Stiefel waren so schlammbespritzt, dass er kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Er war schon kurz nach der Morgendämmerung aufgebrochen und über die regennassen, aufgeweichten und schlammigen Wege nach Waterhouse geritten. Seine engen Beinkleider und sogar sein dunkler Umhang waren dreckverkrustet. Doch er nahm sich nicht die Zeit zum Umziehen, sondern suchte sofort seinen Herrn auf, der in der Halle saß und mit seinem Verwalter und Pater Gregor das bevorstehende Begräbnis des kleinen Andrew besprach.
»Ah, Rittmeister. Ihr habt Euch beeilt, wie ich sehe«, begrüßte Lord Waterhouse ihn. »Nun, was bringt Ihr für Nachrichten aus Clifford?«
»Der Earl war bestürzt über die Ereignisse auf Waterhouse. Er lässt Euch sein tief empfundenes Beileid übermitteln. Morgen früh wird er aufbrechen und wohl am frühen Nachmittag auf der Burg eintreffen. Er lässt euch ausrichten, Ihr sollt alle Vorbereitungen treffen, damit am Abend das Gericht abgehalten werden kann.«
»Ich danke Euch, Rittmeister. Geht nun und ruht Euch aus, Ihr habt mir einen guten Dienst erwiesen«, verabschiedete der Lord seinen müden Bediensteten.
»Mylord, da ist noch etwas, das Ihr wissen solltet. Auf dem Weg hierher kam ich durch das Dorf am Fuße der Burg. Helle Aufregung herrschte dort«, berichtete der Rittmeister.
Der alte Lord horchte auf. »Was ist geschehen?«, wollte er wissen.
»Vorgestern Nacht starb dort ein Kleinkind ohne jeden ersichtlichen Grund. Am Abend war es noch gesund und fröhlich, hat gut gegessen und gelacht, und wenige Stunden später schon lag es tot in seinem Bettchen.«
»Nun, das kommt häufig vor. Viele Kinder erreichen nie das Erwachsenenalter. Was ist daran besonderes?«
»Die Leiche des Kindes
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