Herz in Not
paar Tagen erzählt, dass Adam Holdbrook vor lauter Verzweiflung seine letzte Milchkuh verkauft hatte. Es gab Zeiten, da war Daniel in der Lage gewesen, armen Dörflern in Notsituationen zu helfen. Das hatte die Bande zwischen Landbesitzer und Pächtern gefestigt. Doch nun gab es wenig, was Victoria in einem solchen Falle anzubieten hatte. Im Gegenteil, möglicherweise würde sie bald selbst auf ein wenig Nächstenliebe angewiesen sein
- eine schreckliche Vorstellung.
„Wird vom Verkauf etwas übrig bleiben? Genug, um für mich, meinen Vater und meine Tante ein neues Heim zu erwerben?“
„Sehr wenig, meine Liebe ... sehr wenig.“ Alexander Beresford wusste, dass nichts übrig blieb, aber er besaß nicht den Mut, dies zu äußern.
Victoria sah ihn an. Sie ahnte, dass er sie nur trösten wollte. So wie an jenem Abend, als Dr. Gibson ihnen eröffnet hatte, dass Daniel den nächsten Morgen nicht mehr erleben würde und Beresford ihr Daniels Testament vorgelesen hatte.
Hartfield gehörte ihr. Ihr Mann hatte bestimmt, dass sie darüber nach seinem Tod frei verfügen konnte - behalten oder verkaufen -, niemand konnte sie hindern. Es gab nur eine Einschränkung: Bei einer Wiederverheiratung blieb das Gut in ihrem persönlichen Besitz.
Alexander Beresford beobachtete die Frau, die er im Stillen verehrte und begehrte. „Es gibt noch eine andere Lösung, Victoria.“ Der Hoffnungsschimmer in ihren Augen ließ ihn fortfahren. „Sie könnten ... wieder heiraten.“
Victoria sah ihn missbilligend an. „Wieder heiraten? Es ist knapp zwei Monate her, dass wir meinen Mann beerdigt haben. Ich habe nicht den Wunsch ...“
„Ich weiß, meine Liebe, eine so baldige erneute Eheschließung gilt als unziemlich, doch unter diesen ... hm ... bedauerlichen Umständen würde die Gesellschaft Verständnis zeigen. Welche Wahl haben Sie denn, Victoria? Entweder Sie heiraten einen Mann, der für Sie sorgt, oder Sie arbeiten selbst für Ihren Unterhalt - das sind die beiden Alternativen, wenn Sie nicht auf die Armenfürsorge angewiesen sein wollen.“
„Welcher Mann ist schon an einer Witwe interessiert, deren Besitz er unterhalten muss, ohne ihn jemals sein Eigen nennen zu dürfen? Dieser Mann müsste schon ein reicher Heiliger sein. Und die sind rar gesät.“ „Natürlich müssten Sie Hartfield verkaufen und Ihre Schulden bezahlen. Kein Mann würde sich eine solche Last aufladen. Aber Sie brauchen Schutz und Sicherheit, Victoria. Viele Gentlemen wären stolz ... glücklich, wenn Sie ihr Heim zieren würden ...“ Und ihr Bett teilen, dachte Alexander Beresford insgeheim weiter, und allein die Vorstellung trieb dem feisten Mann schon die Schweißperlen auf die Stirn. „Nein, nein, Sie müssen Hartfield verkaufen“, wiederholte er schnell. „Vermutlich wollen Sie ja auch Ihre Verwandten versorgt wissen, bevor Sie wieder heiraten.“
„Meine Verwandten? Papa und Tante Matilda? Natürlich werden sie bei mir wohnen ...“
„Daniel Hart war bekanntermaßen ein echter Menschenfreund. Ein neuer Ehemann mag vielleicht mit einem solchen Arrangement nicht einverstanden sein, meine Liebe“, warnte Beresford und musterte dabei diskret, aber eingehend das eng anliegende Oberteil ihres einfachen Trauerkleides. Mit abschätzendem Blick betrachtete er ihre schmale Taille und ihren kleinen runden Busen. Alexander Beresford war fest entschlossen, seinen Antrag zu stellen, und glaubte auch, unter den gegebenen Umständen nicht abgewiesen zu werden. Haus und Einkommen wollte er gerne mit Victoria teilen, wenn sie seine Frau würde. Aber darüber hinaus wollte er keine Verpflichtungen eingehen. Aus lauter Nächstenliebe wollte er weder Victorias geisteskranken Vater noch ihre impertinente verwitwete Tante bei sich aufnehmen.
Der Gedanke, dass sie Hartfield verlieren würde, war für Victoria unvorstellbar. Hartfield, das seit mehr als drei Generationen im Besitz der Familie ihres Mannes war! Sie seufzte bekümmert. „Mein Vater und meine Tante sind hier zu Hause. Ich möchte, dass mein Vater die Zeit, die ihm noch bleibt, auf Hartfield verbringen kann.“
„Ich versuche ja alles, was in meiner Kraft steht, meine Liebe. Aber Hartfield noch länger als einen Monat zu halten, das übertrifft auch meine Fähigkeiten.“
Hellhörig geworden, sah Victoria ihn skeptisch an. Glaubte er etwa ... ?
„Wie ich sehe, haben Sie mich verstanden. Sehr zu meiner Freude, denn manchmal ist es mir wirklich schwer gefallen, meine Gefühle für Sie zu
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