Herz in Not
Seidenkleid am Rand der Gruppe, die sich um ihn formiert
hatte, heimlich davonschlich. Die Worthington-Tochter, die in ihrem goldbraunen Kleid heute ausgesprochen attraktiv aussah, erkannte er erst, als sie ihn herausfordernd ansah.
„O bitte, Lord Courtenay, seien Sie mein Partner am Kartentisch“, schmeichelte Moira Blair. Über den Rand des Fächers sah sie ihn mit ihren eisblauen Augen verführerisch an.
„Lassen Sie sich von meinen Töchtern ans Büfett führen“, bat die Mutter.
„Eins nach dem anderen, meine Liebe“, ermahnte der Hausherr seine Frau. „Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten, Sir?“
„Geben Sie mir Gelegenheit, meinen Verlust vom Nachmittag wettzumachen“, meldete sich Frederick Worthington angetrunken über die Köpfe der Umstehenden hinweg und erntete leichtes Kopfschütteln von jenen, die von seinem Auftritt bei Watier’s gehört hatten.
„Na, bedauerst du es schon?“ stichelte Richard leise im Vorbeigehen, während er sich von einer triumphierenden Daphne Blair ins Musikzimmer führen ließ.
Victoria hielt sich das kalte Glas an das erhitzte Gesicht, dann nahm sie einen vorsichtigen Schluck von der Limonade. „Es riecht nach Jasmin“, sagte sie zu Emma, die neben ihr auf der Eisenbank unter dem Blätterwerk im Gewächshaus saß.
Emma zeigte auf eine Kletterpflanze.
„Fahren wir zurück nach Kensington?“ bat Victoria. „Ich möchte dieser impertinenten Mrs. Porter und ihrer Freundin nicht mehr begegnen.“ „Oder dem verrufenen Viscount...“, meinte Emma verschmitzt.
,Ja ... dem ganz besonders nicht“, gab Victoria sich geschlagen.
„Gut, ich sage Mama, dass es uns nicht gut geht.“
Als Emma gegangen war, stand Victoria auf und schlenderte langsam durch das Gewächshaus. Hier und da strich sie bewundernd über die glänzenden Blätter und kam schließlich zu einem kleinen Springbrunnen. Fasziniert lauschte sie dem melodischen Sprudeln und ließ sich das kühle Nass über die Finger perlen. Dann entdeckte sie den goldenen Vogelkäfig.
„Hat man uns schon bekannt gemacht?“
Beinahe hätte Emma den jungen blonden Mann umgerannt, der ihr den Zugang zum Gewächshaus versperrte. Sie lächelte abweisend. „Ihr --Ruf eilt Ihnen voraus, Baron Du Quesne. Ich glaube kaum, dass Sie sich
für mich interessieren.“
„Klopfen Sie nicht nur auf den Busch, Miss Worthington. Werden Sie ruhig deutlicher“, forderte Richard sie heraus.
„Wie Sie wollen, Sir! Ich gestatte Ihrem Freund nur ein paar Minuten.. Falls notwendig, werde ich schwören, dass ich Mrs. Hart keine Sekunde mit ihm allein gelassen habe. Und falls ich etwas hören sollte, was mich vermuten lässt, dass Mrs. Hart nicht mit ihm allein sein will, werde ich mir die Seele aus dem Leib schreien und Sie beide eines höchst ungebührlichen Betragens bezichtigen. Dass es für unseren Ruf und nicht für den Ihren Konsequenzen hätte, brauchen Sie mir nicht zu verraten.“
Richard sah sie bewundernd an. „Warum bin ich Ihnen bislang noch nicht begegnet?“
„Oh, ich mische mich selten unter die vornehme Gesellschaft. Aber Sie ja wohl auch“, erklärte sie streitsüchtig, drehte sich um und begutachtete interessiert die Porträts an den Wänden der Halle.
Victoria betrachtete den winzigen Hänfling in seinem Käfig. Der Singvogel hockte still auf seiner Stange und beobachtete sie mit schief gelegtem Köpfchen. Vorsichtig berührte sie den Käfig. „Ich schenk dir die Freiheit“, flüsterte sie. „Kannst du noch fliegen?“
„Sollen wir es herausfinden?“
Erschrocken drehte sich Victoria um. In dem engen Gang, zwischen all den Pflanzen, erschien ihr David Hardinge nicht nur bedrohlich groß, sondern er kam ihr auch viel zu nahe. Mit glänzenden Augen blickte er zuerst auf sie dann auf den Hänfling. „Wollten Sie etwa auch davonfliegen, Mrs. Hart?“ provozierte er sie ganz bewusst.
Victoria versuchte gelassen zu bleiben und verschränkte ihre vor Aufregung feuchten Hände hinter dem Rücken. „Weshalb ... sollte ich?“ fragte sie stolz. „Schließlich war ich zuerst hier. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich entfernen würden ... bevor man uns entdeckt und wir den boshaften Klatschmäulern Anlass zu den wildesten Gerüchten geben.“
David nahm den Käfig vom Haken. Eine Weile beobachtete er den Vogel nachdenklich, der sein Köpfchen interessiert nach allen Seiten drehte, dann hängte er den Bauer hoch oben an einen Griff und öffnete das Kippfenster.
„Ich weiß nicht, ob das richtig
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