Herzblut 02 - Stärker als der Tod
draufgegangen. Wildschweine sind tierisch aggressiv.“
Ich betrachtete den Bogen im Katalog, ein wirklich kompliziertes Ding. Compound-Bogen sahen ganz anders aus, als ich mir Bogen vorgestellt hatte, sehr futuristisch mit einer Menge Löcher. An den beiden Enden waren seltsame Flaschenzüge, zwischen denen sich gleich drei Sehnen spannten. Das Teil hätte in die Alien -Filme gepasst. Wie schoss man überhaupt mit so was?
Ich blätterte ein paar Seiten weiter, bis mich die Farbe eines Modells regelrecht ansprang. „Es gibt Bogen in rosa Flecktarn?“
Sie grinste. „Ja, das ist ein Anfängermodell. Mein erster Bogen sah so ähnlich aus.“
Ich versuchte mir Anne im Kindergartenalter vorzustellen, wie sie mit einem riesigen knallrosa Bogen durch ein Feld lief und Pfeile verschoss, während Dylan kreischend wie ein kleines Mädchen weglief. Ein zögerliches, mattes Lächeln lockerte die Muskeln um meinen Mund. Das hätte ich wirklich gern gesehen. Leider wäre Dylan im wahren Leben nie weggelaufen. Er wäre einfach stehen geblieben und hätte sie mit einem magischen Feuerball beschossen.
Als ich ihr den Katalog zurückgab, verblasste mein Lächeln. „Hör mal, Anne, du musst wirklich vorsichtig sein. Du glaubst, du könntest mit Dylan fertigwerden, egal, was er macht. Aber derClann … Die Nachfahren sind viel mächtiger, als du denkst. Sogar Dylan hat ein paar Tricks drauf, gegen die man nicht mit einem Bogen ankommt.“
„Pff. Lass ihn. Soll er’s ruhig versuchen. Er würde mich nicht mal sehen oder hören, bevor es zu spät ist.“
Sie tat so, als würde sie mit der linken Hand einen Bogen halten und mit der rechten die Sehne mit einem imaginären Pfeil spannen. Mit einem Wuuusch schoss sie. Dann pfiff sie leise und grinste.
Seufzend schüttelte ich den Kopf. Anne wusste doch, dass die Clann-Mitglieder zaubern konnten. Genau wie alle anderen in Jacksonville hatte sie die Gerüchte gehört. Und sie hatte kleinere Zauber selbst erlebt – als ich letztes Jahr aus Versehen ein paar Jungs mit meinem Tranceblick zu Stalkern gemacht hatte, hatte sie für Tristan Dämmzauber in meine Sporttasche geschmuggelt. Aber sie hatte noch nicht erlebt, wie schnell ein Nachfahre Energie auf jemanden schleudern und ihn umwerfen oder sogar fast töten konnte.
Wäre sie an dem Abend dabei gewesen, als Tristan und Dylan mit Magie gegeneinander gekämpft hatten, hätte sie meine Warnung nicht einfach so abgetan.
Wenige Minuten später hielten Michelle und Carrie mit ihren Freunden neben uns. Das Fenster auf der Fahrerseite stand offen, und ich hörte, wie sie meinen Namen sagten und etwas über Tristan und Emily und einen Autounfall. Spannende Neuigkeiten machten in Jacksonville schnell die Runde, und nichts war spannender als Tristan.
Carrie blickte auf, sah mich und drückte Michelles Hand. Daraufhin erröteten beide.
„He, Leute, was wollt ihr essen?“, fragte Carrie ihre Mitfahrer.
Während sie bestellten, sah ich auf meinem Handy nach, ob ich Anrufe oder SMS verpasst hatte. Es war nichts gekommen. Zur Sicherheit überprüfte ich das Netz. Vielleicht hatte Emily noch keine Gelegenheit gefunden, mich ungestört anzurufen.
Als Carrie und Michelle ihre Bestellung erhielten, stieg Anne aus, ging zur Beifahrerseite und nervte die beiden beim Essen. Ich saß vor Sorge wie angewurzelt im Auto.
Emily hätte sich längst melden sollen. Was passierte im Krankenhausmit Tristan? Würde er gesund werden? Vielleicht hatte sie nicht Bescheid gesagt, weil er noch geröntgt oder anders untersucht wurde. Oder …
Nein, daran wollte ich nicht mal denken. Er würde gesund werden. Er musste einfach. Emily hatte ihn am Leben erhalten, bis er ins Krankenhaus kam und der Clann übernehmen konnte. Und die Nachfahren würden ihren zukünftigen Anführer auf keinen Fall sterben lassen.
Andererseits wollten vielleicht ein paar von ihnen Tristan aus dem Weg räumen. Und wenn irgendjemand ein Motiv hatte, Tristan zu schaden, war es Dylan. Was hatte er an dem Abend gesagt, an dem er Tristan und mich nach dem Charmers-Training beim Küssen erwischt hatte? Er wollte mit den Fotos von uns dafür sorgen, dass der Clann Tristans Vater als Anführer absägte.
Für mich klang das nach einem Motiv.
Zum Teil musste ich Anne recht geben. Dylan wirkte viel zu dämlich, um die Bremsleitungen eines Autos zu manipulieren. Andererseits könnte er es endlich geschafft haben, das Internet zu nutzen oder ein Buch zu lesen. Wunder gab es immer wieder, vor
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