Herzen aus Asche
junger Kerl, unscheinbar.«
Aha. Also ein Mann. Sollte der Dieb etwa derjenige gewesen sein, der die Runentafel entwendet hatte? Am elie wünschte sich, der Pfarrer hätte sie mit genaueren Informationen versorgt, aber sie spürte instinktiv, dass sie nicht mehr aus ihm herausbekommen konnte.
Er deutete auf den Tisch mit den Teelichtern. »Wenn Sie unserer Kirche etwas Gutes tun und für ihren Erhalt sorgen wollen, können sie eine kleine Spende in den Kasten werfen. Sie dürfen dann auch ein Teelicht anzü nden und für die Bedürftigen beten.«
»Danke«, sagte Amelie und wandte sich mit hochr otem Kopf ab. Sie ging zum Tisch herüber, wobei sie die Blicke des Pfarrers im Nacken prickeln spürte. Sie würde etwas in den Kasten werfen müssen, wenn sie nicht unhöflich erscheinen wollte. Doch sie hatte nur noch fünf Kronen übrig, die sie entbehren konnte. Den Rest würde sie für die Rückfahrt benötigen. Vielleicht würde sie heute Nachmittag einen ihrer entfernten Nachbarn darum bitten, telefonieren zu dürfen. Amelie war sich sicher, dass Sara ihr etwas Geld leihen würde, wenn sie danach fragte. Vermutlich würde sie ihr sogar direkt fünfhundert Kronen schenken, immerhin mangelte es ihr ganz sicher nicht an Geld.
Amelie warf die Münze in den Kasten und entzündete ein Teelicht. Sie wartete ein paar Sekunden und tat so, als würde sie ein Gebet sprechen, dabei war sie überhaupt nicht gläubig. Hinter ihr hörte sie die leisen Schritte des Pfarrers, der auf den Altar zuging und sein Buch mit einem dumpfen Geräusch darauf legte. In einer halben Stunde würde der Gottesdienst beginnen.
Amelie drehte sich um und schickte sich an zu gehen, als ihr Blick auf das aufgeschlagene Buch auf dem Pult fiel. Sie trat näher und warf einen Blick darauf. Es handelte sich um eine Art Gästebuch. Der letzte Eintrag stammte von gestern Abend, er war auf italienisch verfasst. Sie blätterte einige Seiten zurück. Viele Gebete, gute Wünsche, und Hoffnungen in den unterschiedlichsten Handschriften und Sprachen verfasst, die meisten schwedisch, aber Amelie entdeckte sogar asiatische Schriftzeichen. Sie blätterte etwa zwei Daumenbreiten zurück und landete wie zufällig bei einem Eintrag, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er war auf den fünfzehnten August vorletzten Jahres datiert, einen Tag nach Amelies zwanzigstem Geburtstag. Der Verfasser hatte neben seiner Unterschrift nur drei Worte hinterlassen. Ich war hier. Daneben eine Rune, die der auf Leifs Arm sehr ähnlich war, wie der Krähenfuß, aber auf dem Kopf stehend wie ein Peacezeichen. Sowohl die Handschrift als auch die Unterschrift kannte Amelie sehr genau. Jarik Nikström .
Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Jarik war hier gewesen? Einen Tag, nac hdem Jacob Conolly ihnen den Hinweis auf die Hügelgräber bei Amelies Geburtstagsfeier gegeben hatte? Zufall? Unwahrscheinlich, ebenso wie das Auftauchen der umgedrehten Algiz-Rune neben dem Eintrag. Jarik interessierte sich seit einiger Zeit ebenfalls für Wikinger und deren Kultur. Ihn hatte wohl die Neugier gepackt, nachdem er Zeuge der seltsamen Vorfälle während der Séance geworden war. Aber weshalb hatte er nicht zugegeben, dass auch er den Geist damals gesehen hatte? Vermutlich aus demselben Grund, weshalb Amelie geschwiegen hatte: aus Scham, man könnte sie auslachen. Aber konnte Jarik tatsächlich die Dreistigkeit besessen haben, vor dem Diebstahl einen Eintrag im Gästebuch hinterlassen zu haben? Hatte er keine Angst gehabt, dadurch gefasst zu werden? Vielleicht war es den Pfarrern dieser Gemeinde so unwahrscheinlich erschienen, dass sie überhaupt nicht auf die Idee gekommen waren, in diese Richtung zu ermitteln.
Ein Gedanke führte zum nächsten. Wenn Jarik derj enige war, der aus Unwissenheit einen rachsüchtigen Draug auf den Plan gerufen hatte, bedeutete dies, dass er derjenige war, der Amelie gestern in den See hatte stoßen wollen. Er besaß einen Mofaführerschein, aber das Gefährt war nicht seines gewesen. Nun, das bedeutete gar nichts. Er wäre wohl auch nicht so dumm gewesen, sein eigenes Mofa samt Nummernschild dazu zu benutzen. Aber weshalb hatte er es überhaupt getan? Amelie schockierte diese Überlegung, sie kannte Jarik seit der Grundschule. Er hatte keinen Grund, sie töten zu wollen. Den hatte vielleicht nur Loan, weil er befürchtete, Amelie könnte ihm auf die Schliche kommen. War es möglich, dass Jarik von einem Geist besessen war? Amelie spürte, wie sich ihr der
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