Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
würde, die ihn umgebracht hatten. Roxy wurde das unbehagliche Gefühl nicht los, dass die Isistöchter aus einem bestimmten Grund verhindern wollten, dass der Ermordete redete: weil sie etwas mit dem Mord zu tun hatten. Sollte sich das bewahrheiten, würden Sutekhs Rachegelüste vor allem sie und ihre Gefährtinnen mit voller Wucht treffen. Überdies würde die gesamte Unterwelt in einen Krieg ungeahnten Ausmaßes hineingerissen werden.
Das war für die Isistöchter Grund genug, dafür zu sorgen, dass der tote Reaper blieb, wo er war, in welchen Gefilden auch immer sich seine Seele herumtreiben mochte. Hauptsache weit weg und unerreichbar.
Roxy musste herausbekommen, was hier gespielt wurde. Und einen wertvollen Tipp konnte ihr vielleicht das Arschloch geben, das sie ans Bettgestell gekettet hatte. Sie musste herausfinden, was Frank Marin in der Nacht gesehen hatte, in der der Reaper getötet worden war.
„Erzähl mir was über dieses Tattoo und den Mann, bei dem du es gesehen hast, Frank“, sagte sie leise und sanft.
Marin starrte auf das Zeichen auf ihrem Unterarm, schluckte und schüttelte den Kopf. „Kenn ich nicht. Nie gesehen.“
Roxy reagierte so schnell, dass Marin ihren Bewegungen nicht folgen konnte. Mit der Linken hatte sie ihm den Mund zugehalten, um ihn am Schreien zu hindern, weil sie die Kleine im Schrank nicht verängstigen wollte. Mit der anderen Hand hatte sie gleichzeitig das Messer auf sein Brustbein gesetzt und stieß die Spitze durch die Haut bis auf den Knochen. Rasend vor Angst und Schmerzen, bäumte Marin sich auf.
„Das nächste Mal“, flüsterte Roxy dicht an seinem Ohr,„geht es durch die Rippen, wenn du nicht gleich redest. Ich will wissen, wo du den Mann gesehen hast und wann das gewesen ist.“
Marin gab mit eifrigem Nicken zu verstehen, dass er es sich anders überlegt hatte und bereit war zu reden. Roxy zog die Hand von seinem Mund.
„Okay, okay“, sprudelte er mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor. „Ich habe dieses Tattoo gesehen. Es war ein großer blonder Kerl, und das da“, Marin deutete mit dem Kinn auf ihr Zeichen auf dem Arm, „hatte er als Tätowierung auf der Brust.“
Roxy erschrak. Ein großer Blonder? Doch nicht etwa Dagan Krayl? Das durfte nicht wahr sein. Das wollte sie nicht.
„Bist du gekommen, um mich zu befreien?“
Mein Gott, wie naiv sie damals gewesen war!
„Dich befreien? Nein, wie kommst du denn darauf?“ „Was willst du dann? Mich töten?“
„Heute Nacht wird dich niemand töten.“
Er hatte sie am Leben gelassen, mehr noch, er hatte ihr das Leben gerettet, ihr wieder eine Perspektive gegeben, sogar Geld für einen Neuanfang. Und er hatte ihrem Leben, allerdings unfreiwillig, die Richtung gewiesen. Indem er sie eindringlich vor den Isistöchtern gewarnt hatte, hatte er sie erst auf den Geschmack gebracht. Nein. Er durfte nicht derjenige sein, den sie getötet hatten.
„Ist das wahr, Marin? Du hast dieses Zeichen auf seiner Brust tatsächlich gesehen?“
„Ja, hab ich – wirklich.“
Sie beugte sich näher zu ihm und starrte ihm ins Gesicht.
„Hast mit eigenen Augen gesehen, wie sie ihn gehäutet haben? Oder hast du dir nur das Video angeguckt?“
Irgendjemand hatte tatsächlich einen Clip bei dem verdammten YouTube eingestellt, in dem eine behandschuhte Faust mit einem Messer zu sehen war, die von der Brust mitdem tätowierten Ankh die Haut abzog. YouTube hatte die Sequenz ziemlich schnell wieder zurückgezogen. Einem Gerücht zufolge war der Hautfetzen Sutekh als Geschenk geschickt worden, säuberlich auf Karton gezogen und in einem schwarzen Plastikrahmen, auf dem hinten vermutlich noch das Preisschild von Wal-Mart klebte. Wer immer es gewesen war, er hatte Nerven – oder eine ausgeprägte Todessehnsucht.
„Das Video? Was für ein Video?“
Für einen Moment glaubte Roxy, er wolle sie zum Narren halten.
Dann fuhr Marin unwillig schnaubend fort: „Ich denke, du hast mich nach dem Tattoo gefragt. Ja, ich habe es mit eigenen Augen gesehen, als sie den Mann hereingebracht haben. Aber nicht, was sie dann mit ihm gemacht haben.“
Er war also nicht dabei gewesen, als sie den Reaper getötet hatten. Ärgerlich. Das bedeutete, dass Marins Informationen weit weniger wert waren, als sie gehofft hatte. „Frank, du erzählst mir jetzt keinen Scheiß. Los, spuck etwas aus, womit ich was anfangen kann!“ Sie hielt ihm noch einmal das Messer vor die Nase. „Oder ich zerlege dich wie den Truthahn zu Thanksgiving.“
Marin
Weitere Kostenlose Bücher