Herzschlag der Nacht
du würdest mir nicht glauben, wenn ich es sage, oder zumindest nicht glauben wollen. Es ist wohl eines dieser Dinge, die man selbst herausfinden muss.«
»Audrey, wovon zum Teufel redest du?«
Sie verschränkte die schmalen Arme vor ihrer Brust und betrachtete ihn streng. Zugleich umspielte ein merkwürdiges kleines Lächeln ihre Mundwinkel. »Wenn du ein wahrer Gentleman bist, gehst du morgen zu Beatrix und entschuldigst dich, dass du ihre Gefühle verletzt hast. Geh bei einem deiner Spaziergänge mit Albert vorbei. Sie mag sich vielleicht nicht freuen, dich zu sehen, doch ihn wird sie gewiss gern wiedersehen.«
Kapitel 8
A m darauffolgenden Nachmittag ging Christopher nach Ramsay House. Nicht dass er es wollte, aber er hatte keine anderen Pläne für den Tag, und irgendwo musste er hingehen, wollte er den vorwurfsvollen Blicken seiner Mutter und, schlimmer noch, dem stoischen Schweigen Audreys entfliehen. Die Stille in den Zimmern, in denen alle Nischen und Schatten von Erinnerungen überquollen, war unerträglich.
Bisher hatte er Audrey noch nicht gefragt, wie die letzten Tage seines Lebens für John gewesen waren … welches seine letzten Worte waren.
Beatrix Hathaway hatte recht gehabt, als sie sagte, dass Johns Tod erst mit der Rückkehr nach Hause real für ihn wurde.
Als sie durch den Wald gingen, sprang Albert mal hier, mal dort hin und stöberte durchs Unterholz. Christopher fühlte sich verstimmt und rastlos bei der Aussicht auf die Begrüßung, die ihn erwartete. Gewiss hieß man ihn in Ramsay House nicht gerade willkommen, denn Beatrix dürfte ihrer Familie von seinem so gar nicht gentlemanhaften Benehmen erzählt haben. Es war allgemein bekannt, dass die Hathaways eng zusammenhielten, ähnlich wie ein Clan, und sich gegenseitig beschützten. Das mussten sie wohl auch; immerhin gab es gleich zwei eingeheiratete Roma in ihrer Familie, von der schlichten Herkunft der Hathaways selbst ganz zu schweigen.
Einzig Leos Titel, Lord Ramsay, sicherte der Familie einen Platz in den feinen Kreisen. Zu ihrem Glück wurden sie von Lord Westcliff empfangen, einem der mächtigsten und angesehensten Adligen Englands. Diese Beziehung verschaffte ihnen Zutritt zu Kreisen, die sie anderenfalls ausgeschlossen hätten. Umso verärgerter nahm es die hiesige vornehme Gesellschaft auf, dass den Hathaways offenbar gar nichts an ihrem Ansehen lag.
Im Gehen fragte Christopher sich, was er sich eigentlich dabei dachte, unangemeldet bei ihnen zu erscheinen. Wahrscheinlich war nicht einmal Besuchstag, und vor allem war es nicht die Tageszeit für einen Besuch. Aber das würden diese Leute wohl gar nicht bemerken.
Das Ramsay-Anwesen war klein, aber ertragreich. Es verfügte über dreitausend Morgen Ackerland, das von zweihundert Pächtern bewirtschaftet wurde, und sie alle standen sich gut. Darüber hinaus gehörte ein großer Wald zum Anwesen, und allein die jährlichen Einnahmen aus dem Holzschlag waren beträchtlich. Vor Christopher tauchten die schönen, einzigartigen Umrisse des Herrenhauses auf. Das Gebäude wies die typischen hohen Spitzgiebel des Mittelalters auf, jakobinische Dachgeländer und Holzverkleidungen und einen hübschen georgianischen Anbau zur Linken. Diese Kombination unterschiedlicher Architekturstile war nicht besonders ungewöhnlich. Viele alte Häuser wurden über die Jahrhunderte um Anbauten oder Nebengebäude erweitert. Aber weil dieses hier der Hathaway-Familie gehörte, schien es ihre Eigenartigkeit noch zu untermalen.
Christopher nahm Albert an die Leine und schritt mit einem mulmigen Gefühl auf den Eingang zu.
Falls er Glück hatte, war gerade niemand verfügbar, ihn zu empfangen.
Nachdem er Alberts Leine an einem der Verandapfosten festgebunden hatte, klopfte Christopher und wartete angespannt.
Unwillkürlich machte er einen Schritt zurück, als die Tür von einer ängstlich dreinblickenden Haushälterin aufgerissen wurde.
»Ich bitte um Verzeihung, Sir, wir sind mitten in …« Sie verstummte, als im Hausinnern lautes Porzellanklirren erklang. »Oh, gütiger Gott«, stöhnte sie und wies zum vorderen Salon. »Warten Sie bitte dort, und …«
»Ich habe sie!«, rief eine männliche Stimme. Und dann: »Verdammt, nein, doch nicht. Sie rennt zur Treppe!«
»Lass sie ja nicht nach oben kommen!«, schrie eine Frau. Ein Baby begann laut zu weinen. »Oh, dieses furchtbare Geschöpf hat das Baby geweckt. Wo sind die Hausmädchen?«
»Verstecken sich, schätze ich.«
Christopher blieb
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