Herztod: Thriller (German Edition)
und vertiefte seine Jugenderinnerungen glücklicherweise nicht. »Da ging es immer sehr hoch her, möchte ich es mal auf den Punkt bringen.«
»Können Sie einschätzen, wie lange Frau Meisner bereits Besuch von diesem Mann erhält?«, schob Hannah mit gleichmütiger Miene nach.
»Oh, viele Monate, ein knappes Jahr vielleicht.«
»Und es ist immer derselbe Mann?«
»Ja.«
»Was macht Sie so sicher?«
Kollbach verzog das Gesicht. »Ich kenne mittlerweile seine Stimme sehr genau.«
Das war ein Argument. »Und der Mann kam regelmäßig?« Kaum war die Frage heraus, wusste sie, dass sie Kollbach eine Steilvorlage für sein schmieriges Grinsen geliefert hatte. Sie machte gute Miene zum bösen Spiel. »Ich denke, Sie wissen, was ich meine. War er ein-, zweimal die Woche hier?«
Kollbach kratzte sich im Nacken. »Das kann ich nicht sagen. Seltener, schätze ich.«
»Haben Sie vielleicht mal zufällig beobachten können, was für einen Wagen er fuhr?«
Kollbach schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, keine Ahnung.«
»Halten Sie für möglich, ihn auf einem Foto wiederzuerkennen?«
»Na ja – ausschließen möchte ich es jedenfalls nicht.«
Hannah ließ das Gespräch ausklingen und war froh, als sie wieder auf der Straße stand – in gleißendem Sonnenschein. Es versprach ein heißer Sommertag zu werden. Als Jugendliche war sie bei solchem Wetter gerudert, manchmal gemeinsam mit Liv, wobei sie sich harte Wettkämpfe geliefert hatten, bis zur völligen körperlichen Erschöpfung. Liv als Ältere hatte nur so lange die Nase vorn gehabt, bis Hannah den Sport als eine Möglichkeit entdeckt hatte, die Schwester auszustechen. Sie waren auch kein harmonisches Schwesternpaar gewesen, weder als Kinder noch später. Das machte es doppelt schwer, nein, das war das eigentliche Drama. Hannah atmete tief durch und schob das Bild ihrer Schwester beiseite, um sich wieder auf ihren Fall zu konzentrieren.
Thomas Kollbach war ein unangenehmer Zeitgenosse, hatte aber ohne Zweifel bislang einen der interessantesten Hinweise geliefert und nebenbei die Frage aufgeworfen, wie die einzelnen Aspekte der Persönlichkeit dieser Frau zusammenpassten. Es wird bald Zeit für ein Gespräch mit Schaubert, überlegte Hannah. Kein Kollege hatte es im Laufe der routinemäßigenÜberprüfung für nötig befunden, den direkten Nachbarn der vermissten Meisner nach seinem Krankenhausaufenthalt zu befragen – aus dem Familienkreis war auch niemand auf diese Idee gekommen –, und ausgerechnet der Mann mit dem widerlichen Grinsen sorgte nun dafür, dass der Fall Konturen anzunehmen begann. Das würde Schaubert garantiert nicht schmecken.
Sie entschloss sich, den Wagen stehen zu lassen, und ging zu Fuß zur Elbe. Am Ovelgönner Strand herrschte vor einer beeindruckenden Kai- und Schiffskulisse buntes Sommertreiben. Kräne reckten sich gen Himmel, im Schatten eines Containerriesen teilte ein Raddampfer das Wasser, es roch nach Sonnencreme und Grillwürstchen, Beachvolleyballer gaben ihr Bestes. Hannah besorgte sich einen Kaffee und suchte nach einem schattigen Plätzchen, wo sie in Ruhe mit ihrem Chef telefonieren konnte, während Kotti sich einer Hamburger Mopsdame mit blauweißem Halstuch wiegenden Schrittes näherte, um ihr den Hof zu machen. Hannah setzte sich, beobachtete einen Moment Kottis charmante Bemühungen, die die Mopsdame jedoch völlig kalt ließen, und betätigte schließlich die Kurzwahltaste ihres Handys.
Krüger ging sofort an den Apparat. »Nichts«, meinte er lakonisch. »Gegen den Folk liegt nichts vor. Der Knabe ist dreißig Jahre alt, in Winsen an der Luhe geboren, hat keine abgeschlossene Berufsausbildung, macht verschiedene Jobs in allen möglichen Bereichen, wie es aussieht. Unverheiratet, lebt allein, keine Kinder, soweit wir wissen jedenfalls, keine Kontakte, die zu Eintragungen geführt hätten, sieht man mal von ein paar Strafzetteln wegen Falschparkens ab.«
»Er ist also bisher in keiner Weise auffällig geworden.«
»So ist es. Was gefällt dir nicht an ihm?«
»Er gibt ein schiefes Bild ab«, erwiderte Hannah. »Da stimmt was nicht. Er schwankt sehr stark zwischen engagierter Hilfsbereitschaft und Misstrauen gegenüber der Polizei. Nicht auszuschließen, dass möglicherweise mehr hinter diesem hilfsbereitenZeugen steckt, als wir im Moment für möglich halten.«
»Hm. Und was hast du jetzt vor?«
»Ich fahre noch mal zum Flughafen, erkundige mich nach ihm und behalte ihn ein bisschen im Auge.«
»Wissen die
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