Heurigenpassion
wieder.
Amelie, die hier Andrea Ballowetz genannt wurde, stöhnte leise auf. »Schade, dass Sie nicht in Wien arbeiten, Sonnie. Von Ihnen würde ich mich täglich massieren lassen .«
Die 23-jährige genoss den Aufenthalt in diesem Wellnessparadies in der steirischen Thermenregion außerordentlich. Eine Woche Luxus pur mit allen Anwendungen, die ihr junger, der Natur bestens gelungener Körper doch gar nicht brauchte. Hervorragendes Essen, Weine dazu, die sie unter der kundigen Anleitung eines Sommeliers selbst aus der Vinothek des »Thermenpalastes« holen durfte. Die amüsante Gesellschaft von Frederick und Marion von der Produktionsgesellschaft tat ein Übriges, um ihr Wohlbefinden zu steigern. Und das Beste war, das alles kostete sie keinen einzigen Euro. Das zahlte alles das Fernsehen. Sie vermisste lediglich Heribert, ihren Freund. Der hätte aber jetzt ohnehin kaum Zeit für sie gehabt. Um die Jahreszeit musste er sich immer um seine Frau kümmern, ihre Chefin. So war das hier sicher die beste Art, die Zeit ohne ihn zu verbringen.
Während Sonnie weiter sehr gekonnt ihren verspannten Muskeln zu Leibe rückte, erinnerte sie sich. Vor rund einem Monat war Frederick an sie herangetreten und hatte sich als Projektleiter einer holländischen TV Produktionsgesellschaft vorgestellt. Er erzählte ihr von diesem völlig neuen Format, einer Realityshow, wie sie noch nie zuvor über den Bildschirm gegangen war. »Wir haben die Idee schon vor der Erstausstrahlung an elf europäische und vier überseeische Sendeanstalten verkaufen können«, hatte er ihr stolz berichtet.
Sie wusste zwar nicht ganz genau, was das bedeutete, fand es aber beeindruckend.
Die Idee war ziemlich verrückt. Es ging darum, wie Menschen in Extremsituationen reagierten. Auf die verschiedenen Optionen konnten sowohl vom Publikum als auch von den »Dummies« Wetten abgeschlossen werden. Unter »Dummies« waren jene Personen zu verstehen, die in die Extremsituation verwickelt waren oder sie auslösten, hatte ihr Frederick erklärt.
Im speziellen Fall, in dem sie »Dummie« war, wie komisch das nur klang, ging es darum, dass Heribert annehmen sollte, sie wäre entführt worden und würde nur gegen Bezahlung eines Lösegeldes wieder frei gelassen werden. Wie würde sich Heribert nun verhalten? Die Optionen, auf die sie und das Publikum wetten konnten, waren:
Geht zur Polizei – geht nicht zur Polizei
Zahlt Lösegeld – zahlt Lösegeld nicht
Da die Polizei informiert werden würde, bestand keine Gefahr, dass aus der Sache Ernst wurde. Das einzige Risiko war, dass die Person in der Extremsituation das »Dummie« im Stich ließ. In ihrem Fall wäre das zweifellos gegeben, wenn Heribert es ablehnte, das der Höhe nach seinen Vermögensverhältnissen durchaus zumutbare Lösegeld zu bezahlen. Und damit ihre Liebe verraten würde. Das war aber völlig ausgeschlossen und daher hatte sie die vollen 100.000 Euro darauf gesetzt, die sie als Startgeld erhalten hatte.
Falls sie ihre Wette gewann, und davon war sie völlig überzeugt, würde sich dieser Einsatz verdoppeln. Ein tolles Geschäft für die nur mittelmäßig bezahlte Assistentin einer Kaufhausqueen. Das war ihre Chance und die wollte sie nutzen. Das war für sie von Anfang an beschlossene Sache.
Es war ihr allerdings schwer gefallen, Heribert und auch allen anderen gegenüber Stillschweigen zu bewahren. Ihr Freund sollte annehmen, dass sie bei Marie Claire in Paris war. Beim letzten Mal, als sie sich gesehen hatten, hätte sie sich ohnehin fast verplappert. Aber dann wären nicht nur die Gewinnchance und die Woche Wellnessurlaub verloren gegangen, sondern sie hätte auch eine beträchtliche Konventionalstrafe zahlen müssen.
Die erste Folge von »Schicksalswette« sollte bereits am Samstagabend im niederländischen Fernsehen ausgestrahlt werden. Schade, dass sie die Sendung erst später sehen durfte. Aber man hatte ihr eine komplette Aufzeichnung versprochen. Die konnten Heribert und sie einmal ihren Kindern zeigen und die wiederum ihren Kindern. »Schaut einmal, was unsere Großeltern alles drauf gehabt haben«, würde es dann heißen.
Noch ein paar Tage Wellness, dann würde sie reich sein. Das Jahr fing wirklich gut an heuer.
* * *
Anwältin Dr. Annemarie Sumser saß schon den ganzen Tag wie auf Nadeln. Diese Geschichte mit Marinov zerrte ganz schön an ihren Nerven. Dabei musste sie selbstkritisch feststellen, dass ihr die menschliche Komponente der Angelegenheit mehr zu
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