Heute und für immer: Roman (German Edition)
zu fällen.
Kasey zog die Beine an und legte die Stirn auf die Knie. Als sie merkte, dass Jordan sich neben sie setzte, zeigte sie
keine Reaktion. Sie brauchte noch einen Moment des Nachdenkens, und Jordan, der das spürte, schwieg. Sie saßen nebeneinander, nahe, doch ohne sich zu berühren. Oben in der alten Eiche begann ein Vogel zu singen. Kasey seufzte.
»Es tut mir Leid, Jordan.«
»Die Art der Übermittlung tut dir Leid, aber nicht der Inhalt«, gab er zurück, sich an ihre frühere Entschuldigung erinnernd.
Kasey lachte leise, hielt aber den Kopf gesenkt. »Da bin ich mir nicht sicher.«
»Ich könnte es verkraften, dass mich jemand anschreit, wenn ich wenigstens wüsste weshalb.«
»Schieb es auf den abnehmenden Mond«, murmelte sie zwischen ihren Knien. Jordan schob eine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf hoch.
»Kasey, sprich mit mir.« Sie öffnete den Mund, doch er fuhr fort, ehe sie noch ein Wort sagen konnte: »Aber sei aufrichtig. Keine Ausflüchte oder Umwege. Wenn ich nicht weiß, was du fühlst oder erwartest, liegt es nur daran, dass du dein Bestes versuchst, mich darüber im Ungewissen zu lassen.«
Ihr Blick ruhte jetzt ganz offen auf ihm. »Ich habe Angst, mich dir noch mehr zu öffnen, als ich es bisher bereits getan habe.«
Ihre Offenheit verwirrte ihn. Er lehnte sich an den Stamm der Eiche und zog Kasey an seine Seite. Vielleicht war es am einfachsten, etwas über sie zu erfahren, wenn er mit ihrer Kindheit anfing. »Erzähl mir von deinem Großvater, Kasey«, bat er sie. »Alison sagte mir, dass er Arzt ist.«
»Mein Großvater?« Kasey schmiegte sich in seine Arme und begann sich zu entspannen. Dieses Thema war relativ
ungefährlich. »Er lebt in West Virginia. In den Bergen.« Sie ließ den Blick über den ebenen, kurz geschorenen Rasen schweifen. Hier gab es nicht mal einen Stein. »Er praktiziert inzwischen seit beinahe fünfzig Jahren. Jeden Frühling bepflanzt er seinen Gemüsegarten, und im Herbst fällt er Bäume in seinem eigenen Wald. Im Winter riecht das ganze Haus nach einem gemütlichen Holzfeuer.« Kasey schloss die Augen und überließ sich, an Jordan gelehnt, ihren Erinnerungen. »Im Sommer blühen in dem Blumenkasten vor dem Küchenfenster immer Geranien.«
»Und deine Eltern?« Jordan spürte, wie die Nervosität von ihr wich. Der Vogel über ihnen begann wieder zu trällern.
»Ich war acht, als sie tödlich verunglückten.« Kasey seufzte. Jedes Mal, wenn sie daran dachte, machte die Sinnlosigkeit des frühen Todes sie unendlich traurig. »Sie waren übers Wochenende weggefahren. Ich blieb bei meinem Großvater. Auf dem Rückweg zu ihm missachtete ein anderer Autofahrer die Vorfahrt und rammte den Wagen meiner Eltern frontal. Der Mann war angetrunken. Er kam mit einem gebrochenen Arm davon. Meine Eltern starben.« Kaseys Kummer darüber war mit den Jahren schwächer geworden, doch jede Erinnerung ließ ihn wieder aufleben. »Ich bin nur froh, dass sie vorher noch diese beiden Tage zu zweit genießen konnten.«
Das anschließende Schweigen dauerte ein paar Momente. Jordan begann zu begreifen, warum Kasey sich so schnell mit Alison angefreundet hatte. »Du hast anschließend bei deinem Großvater gelebt?«
»Ja, nach dem ersten Jahr.«
»Was passierte in jenem ersten Jahr?«
Kasey zögerte. So tief hatte sie gar nicht in die Vergangenheit
dringen wollen, doch seine zurückhaltenden Fragen machten es ihr leicht, weiterzuerzählen. Sie zuckte die Achseln und fuhr fort: »Ich hatte eine Tante, die Schwester meines Vaters. Sie war um etliches älter als er – zehn, fünfzehn Jahre, schätze ich.«
»Und bei ihr hast du anfangs gelebt?«
»Ja, abwechselnd bei ihr und meinem Großvater. Die beiden stritten sich um die Vormundschaft. Meine Tante verwahrte sich dagegen, dass eine Wyatt in der Wildnis aufwuchs. So bezeichnete sie das Haus meines Großvaters. Sie kam aus Georgetown, D.C.«
Jordan ging plötzlich ein Licht auf. »War dein Vater Robert Wyatt?«
»Ja.«
Jordan schwieg, während sich in seinem Kopf verschiedene Einzelheiten zu einem Bild zusammenfügten. Die Wyatts aus Georgetown – eine alte, angesehene Familie. Geld und Politik. Ihr Großvater väterlicherseits war demnach Samuel Wyatt. Er hatte sein Vermögen als Banker gemacht und war später zum Berater des Präsidenten avanciert. Robert Wyatt war sein jüngster Sohn gewesen. Die zwei älteren Brüder hatten sich Sitze im Senat erarbeitet. Die Schwester, Alice Wyatt Longstream, war die
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