Hexenblut
Blitz zuckte über den Himmel. Nicole ließ sich zu Boden fallen und erschuf einen schützenden Schild um sie beide. Donner grollte, und dicke Regentropfen klatschten plötzlich auf den Boden.
»Nur ein Gewitter«, sagte Derek. »Schlechtes Timing.«
Sonst geschah nichts, aber der Himmel öffnete alle Schleusen, und der Regen prasselte herab. Die anderen hätten vielleicht noch länger im eisigen Regen herumstehen und darüber diskutieren können, aber Owen musste sofort ins Trockene.
»Richard Anderson, ich lade dich ein hereinzukommen. Owen Anderson-Moore, ich lade dich ein hereinzukommen. Amanda Anderson, ich lade dich ein hereinzukommen.«
Gleich darauf rannten sie alle gemeinsam die Auffahrt zum Haus entlang. Die dunklen Fenster klafften ihnen entgegen wie abscheuliche Mäuler, die nur darauf warteten, sie zu verschlingen.
Sollen sie es ruhig versuchen, dachte Nicole grimmig, als sie die Vordertreppe hinaufpolterten.
Derek zückte einen Schlüssel und schloss die mächtige Haustür auf. Nicole hatte erwartet, dass sie sich mit einem unheimlichen Quietschen öffnen würde, doch sie schwang geräuschlos auf. Sie drängten ins Haus und blieben auf dem Marmorfußboden stehen, während sie sich zu orientieren versuchten.
Derek drückte den Lichtschalter, und ein Kronleuchter über ihren Köpfen erwachte zum Leben. Er erhellte eine gewaltige Treppe, die drei Stockwerke emporreichte. Flure führten links und rechts vom Foyer weg.
Tommy flüsterte: »Wo ist denn der Butler?«
»Sir Williams Bedienstete waren sämtlich Kreaturen aus der Verdammnis. Als er... starb ... wurden sie in die Hölle zurückgeholt.«
Nicole entging das kurze Zögern nicht. Diese Zweifel hatten sie selbst schon gequält. Sie war nicht ganz sicher, ob Sir William wirklich tot war. Immerhin hatte sie gesehen, wie ein Dämon aus seinem Körper hervorgebrochen und dem Massaker am Obersten Zirkel entkommen war. Dieses Geschöpf machte ihr noch mehr Sorgen als die anderen Hexer, die womöglich nach ihnen suchten. War das Sir Williams wahres Gesicht? Und wenn ja, wie lang würde es dauern, bis er zurückkehrte, um Anspruch auf seinen Besitz zu erheben? Sie erschauerte.
»Sie sollten sich etwas Trockenes anziehen«, riet Derek, der ihr Schaudern bemerkt, aber falsch interpretiert hatte.
Die anderen schwärmten aus und schalteten weitere Lichter an. Nicole wollte sie warnen, ja vorsichtig zu sein. Wer konnte wissen, was für Banne oder magische Fallen hier installiert sein mochten? Aber sie war müde, und trockene Kleidung war tatsächlich nötig. Sie hob den Rucksack auf, den sie hinter der Tür hatte fallen lassen, und wandte sich nach rechts. Die erste Tür, die sie probierte, führte zu einer Toilette, und sie ging hinein, um sich umzuziehen.
Zehn Minuten später fand sie alle in der Küche versammelt. Amanda saß mit Owen in den Armen auf einer Küchentheke, Tommy hatte sich an sie gelehnt. Richard lief unruhig auf und ab, und Derek hatte Unterlagen auf einer Arbeitsfläche ausgebreitet. Nicole ging zu ihm hinüber.
Er reichte ihr einen Kugelschreiber und schob ihr das erste Dokument hin. »Ganz gleich, in welcher Welt wir leben, der Papierkram nervt«, scherzte er.
Nicole warf einen Blick auf die erste Seite. »Das ganze Ding ist klein gedruckt«, bemerkte sie.
Er kicherte. »Lassen Sie sich ruhig Zeit, und lesen Sie alles durch, wenn Sie wollen. Aber das hier ist nur der weltliche Papierkram. Den besonderen Teil heben wir uns bis zum Schluss auf.«
»Wunderbar«, sagte Nicole seufzend und begann das Dokument zu überfliegen.
»Es ist nicht richtig, was Ihnen da geschehen ist«, sagte Derek plötzlich mit weicherer Stimme.
Nicole verzog das Gesicht. »Was denn, soll ich jetzt glauben, dass Sie ein Hexer sind, aber ein goldenes Herz haben?«
Er lächelte, und sie unterdrückte ein Schaudern. »Wie immer im Leben gibt es nicht nur Schwarz und Weiß. Denken Sie mal an die Hexen: Einerseits gibt es da das edle, selbstlose Wesen, das tugendhaft Gutes tut.«
Nicole nickte und musste sofort an Anne-Louise Montrachet denken.
»Andererseits gibt es machtgierige Hexen, die sich in ihrem Wahn und Ehrgeiz der Finsternis hingeben.«
Nicole stand auf einmal Holly vor Augen, und sie errötete und wich Dereks Blick aus.
»So ist das auch auf unserer Seite. Es gibt die Verkörperung des schwarzen Hexers, durch und durch böse Magier wie Sir William. Aber es gibt auch solche unter uns, die Opfer darbringen, um mit der gewonnenen Macht das
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