Hexenblut
umkehren.
Unterwegs nach Bombay:
Holly, Armand, Pablo, Alex und der Tempel der Luft
Holly fuhr keuchend hoch. »Daddy?«
Dunkelheit umfing sie, und als sie ganz wach wurde, fiel es ihr wieder ein. Er war tot, ertrunken bei der Rafting-Tour, ehe sie erfahren hatte, wer sie war. Er und ihre Mutter und ihre beste Freundin waren die ersten Menschen gewesen, die Holly in diesem höllischen Krieg verloren hatte. Doch für einen Augenblick war ihr Vater ihr so nah erschienen. Es war beinahe, als hinge noch ein Hauch von seinem Aftershave in der Luft.
Das wäre nicht die erste Vision von ihm, die sie im Traum gehabt hatte. Sie legte sich wieder hin, versuchte ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen und sich an irgendetwas zu erinnern, irgendein Stückchen dieses Traums oder der Erscheinung oder was immer das gewesen sein mochte.
Bruchstücke kamen ihr wieder in den Sinn, aber zum Teil konnte sie sich keinen Reim darauf machen. Nachdem sie es mehrere Minuten lang versucht hatte, stand sie schließlich auf und beschloss, vor dem Haus, in dem sie für heute Nacht untergekommen waren, ein wenig spazieren zu gehen. Vorsichtig schlich sie zur Tür, um die anderen nicht zu wecken. Doch dann stellte sie fest, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Es muss noch jemand wach sein.
Sie schlüpfte nach draußen und atmete tief die kalte, klare Luft ein. Der Mond schien ihr von dort oben zuzuzwinkern. Früher hatte sie gern zu ihm hochgestarrt. Aber es war so viel geschehen, dass sie kaum mehr Freude an dem Anblick fand. Er erinnerte sie nur an die Göttin, der sie so viel geopfert hatte und die ihrerseits Holly so viel genommen und Teile ihrer Seele verschlungen hatte.
Sie spürte, dass noch jemand anwesend war. Schließlich drehte sie sich um und sah Armand. Er stand groß und still in der Nacht wie ein ominöses Vorzeichen.
»Du bist ja wach«, sagte sie.
»Da war etwas im Haus«, entgegnete er schlicht.
»In meiner Nähe?«, fragte sie.
»Si.«
»Was war es?«
»Ich dachte, es könnte ein Dämon sein«, erklärte Armand mit sichtlichem Unbehagen.
Holly nickte verständnisvoll. Armand hatte sie befreit, als sie in der Traumzeit von Hunderten Dämonen besessen gewesen war. Sie wusste, dass er dazu jedes Quäntchen seines Wissens und seiner Kraft hatte aufbieten müssen. Er war schon immer still und nachdenklich gewesen, doch in letzter Zeit hatte er sich noch mehr zurückgezogen. Das zu übersehen war ihr leichtgefallen, denn sie wusste, dass auch sie sich ein wenig zurückgezogen hatte. Einer der Gründe, weshalb sie entschieden hatte, sich diesem Kreuzzug anzuschließen, war Alex' Hoffnung, auch ihren Geist und ihre Seele heilen zu können ... nach so vielen Kämpfen, so viel Tod, den Opfern, die ich gebracht habe, um meinen Zirkel zu schützen.
»Und?«, fragte sie.
»Es war keiner. Ich glaube, du hattest im Traum Besuch, aber die Göttin war es nicht.«
Tränen brannten ihr in den Augen, und sie fiel ihm spontan um den Hals. »Danke«, flüsterte sie. »Das war mein Vater.«
Er schlang die Arme um sie und hielt sie einfach fest. Es fühlte sich gut an, jemanden zu spüren, der sie verstand und nichts von ihr verlangte.
Mumbai: Anne-Louise Montrachet
Fünfzehn Kilometer von meinem Luxushotel entfernt, und ich befinde mich im erbärmlichsten Slum, dachte Anne-Louise, als sie gebückt durch den niedrigen Eingang in die Hütte des alten Hexers trat. Sie atmete den starken Duft von Sandelholz-Räucherstäbchen ein, während sie in ihrem tiefblauen Sari mit goldener Borte über einen echten Blütenteppich aus Ruellien und zarten Gardenien schritt. Sitarmusik vibrierte an den starken magischen Strahlungen in der Luft. Der niedrige Raum lag im Halbdunkel, obwohl das bezaubernde Dämmerlicht draußen die von Armut gezeichnete Gasse mit dem Versprechen auf bessere Zeiten erleuchtete.
Seit Anne-Louise durch eine Traumvision erfahren hatte, dass Alex Carruthers nicht der war, als der er sich ausgab, suchte sie vergeblich nach den Cathers-Hexen. Der Mutterzirkel wusste nicht, wo sie waren, und Anne-Louise war nicht bereit, ihr Wissen mit irgendjemandem außer den drei Mädchen zu teilen. Wisper, die Katzengöttin, die sie durch ihre Visionen geführt hatte, wartete im Hotelzimmer, während Anne-Louise ausgegangen war, um einen Mann aufzusuchen, der ihr vielleicht helfen konnte.
Der runzelige alte Mann saß auf einem roten Seidenkissen und trug nichts außer einem Dhoti, dem traditionellen rockähnlichen Beinkleid, und Dutzenden
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