Hexenblut
höhnisch.
Er legte eine Jefferson-Airplane-Platte beiseite und wandte ihr seine volle Aufmerksamkeit zu. »Und das stört dich?«
»Sie stören mich. Ich will, dass sie sich in jemanden verliebt, der M...« Sie verstummte abrupt und beäugte ihn argwöhnisch. Er wusste nicht, ob sie nur versuchte, ihm Informationen zu entlocken, oder ob sie sich tatsächlich fast verplappert hätte.
»Der was?«, fragte er.
»Ach nichts«, murmelte seine Mutter hastig und wandte sich ab.
»Magie?«, setzte er nach.
Sie fuhr zusammen und drehte sich mit blassem Gesicht zu ihm um.
»Ja, Magie. Ich weiß Bescheid«, sagte er. »Du weißt sehr wohl, dass ich Altfranzösisch lesen kann.«
»Ich will dir das erklären...«, begann sie.
Etwas in ihm fühlte sich wie ein Wolf, der zum tödlichen Sprung ansetzt. Seine Mutter hielt es nie für nötig, ihre Handlungsweise zu erklären. Es war, als könnte er auf einmal ihre Angst, ihre Schwäche spüren.
»Lass gut sein, Mom. Ich finde, das erklärt sich praktisch von selbst. Du hast ein Buch über Dads Familie gefunden. Jetzt hältst du dich für eine Art mächtige Hexe, die ihre Kinder wirklich kontrollieren kann. Vielleicht sogar die Schwerkraft überwinden. Oder den Alterungsprozess aufhalten.«
Sie lächelte dünn, und auch an ihr kam etwas von dem Wolf zum Vorschein. »Du hast ja keine Ahnung, was ich alles geschehen lassen kann.«
Er stand auf. »Doch, ich glaube schon.« Er knöpfte sein Hemd auf und zeigte ihr die frischen Verbände. »Hast du dieses Ding in mein Zimmer geschickt, damit es mich daran hindert, dein Buch zu lesen?«
»O Gott, Schätzchen«, keuchte sie. »Was... was ...?«
Ihre Reaktion überraschte ihn. Und sie machte ihm Angst. Wenn seine Mutter das Ding nicht in sein Zimmer geschickt hatte, wer dann?
»Mom«, sagte er. »Das ist nicht bloß ein Buch. Es ist gefährlich. Es war aus gutem Grund lange verloren. Hör auf. Hör sofort damit auf.«
»Sag mir nicht, was ich zu tun habe«, erwiderte sie und klang dabei mehr wie ein Kind denn wie eine Mutter. »Du kannst mich nicht daran hindern, die alte Religion zu praktizieren.« Ihr Blick huschte zu seiner Schulter. »Erzähl mir genau, wie das passiert ist. Was für ein Ding war in deinem Zimmer?« Sie überlegte kurz. »War es ein Wichtel?«
»Was wirst du erst tun, wenn du mal richtig wütend auf mich bist - irgendwas mit größeren Zähnen beschwören?« Er bebte am ganzen Leib. »Marie!«, rief er. Er musste sie warnen.
»Lass das«, stieß seine Mutter hervor. »Sie weiß nichts davon.«
»Marie!«, brüllte er.
Da drehte seine Mutter sich halb um und zeigte zur Tür. »Raus«, knurrte sie. »Verschwinde, oder ich werde dir wirklich wehtun.«
Nun war sie wieder seine Mutter, die Frau, die stets alle unter Kontrolle hatte und niemals nachgab - niemandem.
Er schauderte und wollte einen Rückzieher machen, wie der brave kleine Junge, der er immer gewesen war. Stattdessen starrte er mit schmalen Augen fest in die ihren und betonte jedes einzelne Wort.
»Hör auf, oder ich sage es ihr.«
»Sie wird dir nicht glauben«, erwiderte sie und reckte das Kinn. »Da kannst du sicher sein.«
Die Haustür ging auf. Sie warf ihn also hinaus. Schön. Schön.
Er wandte sich ab und ging zur Tür.
Das war das letzte Mal, dass er mit seiner Mutter gesprochen hatte.
Und soweit er wusste, erfuhr Marie nie von alledem. Er hörte von Freunden, dass Richard aus Vietnam zurückgekehrt war, dass Richard und Marie heiraten würden. Doch er wurde nicht zur Hochzeit eingeladen, und nach einer Weile hatte er das Buch, den Wichtel und seine eigene Familie beinahe vergessen.
Dann heiratete er selbst, und sie bekamen ein kleines Mädchen. Sie nannten sie Holly.
Und ich habe dich geliebt, mein Schatz. Ich wollte dir kein Hexenblut vererben. Ich habe es vor mir selbst geleugnet und dir nie etwas davon gesagt. Ich hatte solche Angst davor, und dann hat sich deine Begabung allmählich gezeigt. Auf dem Rafting-Ausflug haben deine Mutter und ich uns furchtbar gestritten, weil ich es ihr auch nicht gesagt hatte. Es tut mir so leid. Ich wollte so unbedingt ein normales Leben für dich, dass ich dich nicht vorbereitet habe. Dir das Erbe unserer Familie nicht enthüllt habe. Und dann bin ich gestorben ...
Wer eine Cahors liebt, der ist zum Tod durch Ertrinken verdammt, und ja, ich war selbst eine Hexe, aber ich habe dich so sehr geliebt
sehr geliebt
sehr geliebt
Holly ... verzeih mir... könnte ich doch nur die Zeit
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