Hexenblut
schrill und rannte los.
Philippe wandte den Kopf, lächelte ein wenig gespenstisch, und dann stürzten die beiden über den Rand und fielen ins Wasser. Anne-Louise lief zum Ufer und versuchte einen Zauber, der beide aus dem Wasser heben sollte.
Nichts geschah. Sie starrte konzentriert ins Wasser, konnte aber unter der Oberfläche überhaupt nichts sehen. Einen Augenblick lang dachte sie darüber nach, den beiden hinterherzuspringen, aber das erschien ihr reichlich dumm und leichtsinnig. Ein paar Minuten blieb sie so stehen und versuchte, die Wasseroberfläche mit ihrem Blick zu durchdringen.
Nichts.
Sie waren beide weg.
Frankreich, im dreizehnten Jahrhundert: Sasha
Sasha war nun seit fast einem Jahr in der Vergangenheit gefangen. Hilflos hatte sie mit ansehen müssen, wie die Geschichte sich wiederholte. Jean und Isabeau heirateten. Die Cahors griffen die Deveraux an, und die beiden Liebenden starben. Sie konnte nichts tun, als zuzuschauen und aufzupassen, dass sie nicht selbst ums Leben kam.
Sie hatte die Ursprünge dieser Blutfehde erforscht, seit sie ihren Mann, Michael Deveraux, verlassen und Zuflucht beim Mutterzirkel gefunden hatte. Als sie diese historischen Ereignisse jedoch selbst miterlebte, machte sie eine bedeutende Entdeckung.
Der Tod von Jean und Isabeau stellte keineswegs den Beginn der Blutfehde dar. Nein, die Geschichte der Cahors und Deveraux reichte viel weiter zurück. Einst waren sie enge Verbündete gewesen. Dann hatte sich irgendetwas zugetragen - sie wusste immer noch nicht, was -, das die beiden Familien auf ewig entzweit hatte.
Außerdem hatte sie herausgefunden, dass Jeans Geliebte Karienne von ihm schwanger gewesen war, als man sie fortgeschickt hatte. Sasha hatte keine Ahnung, ob das Kind ein Junge oder ein Mädchen war und ob es noch mehr Nachkommen mit Deveraux-Blut gab, die jedoch nicht den Namen Deveraux trugen.
Und sie hatte noch etwas Faszinierendes entdeckt. Es gab zwei Grundtypen magischer Fähigkeiten - »angeborene« und »geliehene«. Geborene Hexen und Hexer erbten ihre Macht von ihren Eltern. Sie lag ihnen im Blut. Jene mit geliehener Macht hingegen besaßen keine natürliche magische Begabung und kamen erst später im Leben zur Magie, durch engen Kontakt mit einem Praktizierenden. Sie versuchte immer noch zu verstehen, wie das alles genau funktionierte, doch soweit sie bisher sagen konnte, kam die Magie von Leihenden nicht aus dem eigenen Inneren, sondern von der anderen, nahestehenden Person. Was bedeutete, dass sie, Sasha, eine Leihende war. Sie hatte nichts von Hexerei gewusst, als sie Michael Deveraux begegnet war, und bei all ihren Nachforschungen seither keine einzige Hexe und keinen Hexer in ihrem eigenen Stammbaum gefunden. Sie verdankte all ihre Magie also Michael.
Sie wünschte sich verzweifelt, sie könnte in ihre eigene Zeit zurückkehren. Viele schlaflose Nächte lang fragte sie sich, wie es ihren Söhnen gehen mochte und ob ihr Exmann noch lebte. Sie dachte über Möglichkeiten nach, wie sie ihre geliehene Magie gegen Michael einsetzen könnte. Vielleicht durch eine Art Rückkopplungsschleife, die ihn vernichten oder zumindest seiner Macht berauben würde.
Doch noch drängender war die Frage, wie sie nach Hause gelangen sollte. Gewöhnliche Hexen und Hexer besaßen nicht die Fähigkeit, durch die Zeit zu reisen. Von nur einer Handvoll hieß es, sie beherrschten diese Kunst, aber das waren vage Gerüchte. In einem Kloster hatte sie einen Teil einer alten Handschrift gefunden, der sie zu der Annahme geführt hatte, dass eine Kombination aus Magie und Wissenschaft sie nach Hause bringen könnte. Sie hatte sogar einen Mann entdeckt, der ihr dabei hätte helfen können. Bedauerlicherweise war er tot.
Also reiste sie nach Indien auf der Suche nach Wissen, das der persische Gelehrte und Wissenschaftler Abü Rayhân Bîrûnî fast zweihundert Jahre zuvor dort hinterlassen haben könnte. Die Reise war gefährlich, aber noch viel gefährlicher wäre es gewesen, sich weiterhin im Kriegsgebiet zwischen den Deveraux und den Cahors aufzuhalten.
Das Gebiet, auf das sich ihre Suche konzentrierte, stand unter der Herrschaft eines Hindu-Königs und war in ihrer eigenen Zeit als Bombay oder, noch neuer, Mumbai bekannt. In dem Textfragment stand, dass die Mondphasen ebenso, wie sie aufgezeichnet wurden, auch verändert werden konnten. Dass der Wissenschaftler an die Fähigkeit des Menschen geglaubt haben könnte, den Mond derart zu beeinflussen, hielt sie für
Weitere Kostenlose Bücher