Hexenblut
es nur ein Deveraux ist?«
Sie wandte den Blick ab. »Das stimmt nicht ganz.«
Er beobachtete sie aufmerksam. Sie war mächtig, sexy, alles, was man sich von einem weiblichen Hexer wünschen konnte. Er fand sie attraktiv, das konnte er nicht leugnen, aber da war noch etwas, irgendeine Verbindung, die über körperliche Anziehung hinausging. Er fragte sich, wie es wäre, mit ihr gemeinsam Magie zu wirken. Sein Instinkt sagte ihm, dass das wilde, unkontrollierte Magie wäre. Und er war immer noch Hexer genug, um das verlockend zu finden.
Er seufzte und wandte sich ab. Auf eine seltsame Art hatte Eve ihm geholfen. Da ihr seine Narben völlig gleichgültig waren, hatte er - zumindest, wenn sie beide allein waren - allmählich vergessen, wie entstellt er war. Wenn es nur bei Holly auch so sein könnte.
Nicht, dass ihr die Narben etwas ausmachten.
Die vielleicht schlimmste Lektion seines Lebens war ihm bewusst geworden, und sie schmerzte mit jedem Tag mehr. Er hatte einen Fehler gemacht. Er hätte Holly nie verlassen dürfen. Sie liebte ihn und war bereit gewesen, seine Fürstin zu werden. Sein eigener Stolz, seine Angst und Selbstsucht hatten es verhindert. Das wäre womöglich für sie beide die einzige Chance auf Erlösung gewesen. Jetzt fürchtete er, dass es für ihn selbst zu spät sein könnte. Und er war fast sicher: Wenn sie noch lebte, war es auch für sie zu spät.
Er hatte England verlassen, um von der Versuchung des Totenkopf-Throns fortzukommen. Er war arrogant genug, um zu glauben, dass er als Anführer des Obersten Zirkels tatsächlich etwas verändern könnte. Er war aber auch realistisch genug, um zu erkennen, dass der Thron ihn verändern würde und nicht umgekehrt. Also war er vor allem nach Deutschland geflohen, um Abstand von London zu gewinnen, und nicht unbedingt, um Eli zu suchen.
Sie waren seit zwei Tagen in der Stadt, und er klapperte die Touristenattraktionen ab. Nichts Besseres zu tun. Ist ja nicht so, als hätte Jer Deveraux je irgendwen retten können.
Nun stand er da, wo einst die Berliner Mauer Westen und Osten getrennt hatte. Gut und Böse. Hexe und Hexer. Leider war es niemals so einfach. Wie viele Jahre hatte er versucht, auf dieser Grenze zu balancieren?
»Eines Tages wirst du dich entscheiden müssen, weißt du?«, bemerkte Eve leise.
»Wofür?«, fragte er in gespielter Ahnungslosigkeit.
»Wer du bist. Wer du wirklich sein willst.«
»Meine Bestimmung stand schon bei meiner Geburt fest. Genannt Deveraux, gezeichnet vom Feuer, geschmäht von allen Göttern.«
Eve schlug ihm so heftig ins Gesicht, dass er halb herumgeschleudert wurde. Die Kapuze seines Sweatshirts fiel ihm vom Kopf und entblößte am helllichten Tag sein Gesicht. Er wartete auf die Schreckenslaute der Leute um sie herum, wenn sie sein entstelltes Gesicht sahen, hörte jedoch nichts. Allerdings stand plötzlich ein kleines Mädchen vor ihm. Sie hielt ihm einen Teddybären hin. Verblüfft nahm er ihn entgegen.
»Die bösen Männer haben meinem Daddy auch sehr wehgetan«, sagte sie. Aus ihren großen blauen Augen strahlten Vertrauen und Liebe. Sie tätschelte seine Hand, wandte sich dann ab und ging davon. Ihren Teddy ließ sie bei ihm. Er starrte in die leblosen schwarzen Knopfaugen und erkannte, dass er sich noch nie so verloren gefühlt hatte.
»Willst du wissen, was ich sehe?«, fragte Eve. »Ich sehe einen Feigling. Ich sehe einen guten Mann mit großer Macht und unbegrenztem Potenzial, der es schon immer genossen hat, den Hilflosen zu spielen. Du bist sämtlicher Verantwortung ausgewichen, die du dir selbst und anderen gegenüber hast. Du jammerst nur herum, wie schrecklich dein Leben ist, und hast in allem versagt, was du dir je vorgenommen hast - nicht, weil du der Herausforderung nicht gewachsen wärst, sondern weil du nicht mal fünf Minuten lang aufhören kannst, dich selbst zu bemitleiden.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte er.
»Ich will sagen, reiß dich zusammen. Eine Menge Leute haben es im Leben viel schwerer gehabt, als du dir vorstellen kannst. Ja, du mochtest deinen Vater nicht. Ja, du wurdest schwer verstümmelt. Ja, du hast die Liebe deines Lebens verloren, weil du zu verdammt egoistisch warst, jemanden an dich heranzulassen. Tja, buuhuuu. Du willst die Welt verbessern? Du willst dein eigenes beschissenes Leben verbessern? Ich sage dir was, wenn du endlich beschließt, dich zusammenzureißen wie ein Mann, weißt du ja, wo du mich findest.«
Sie wandte sich ab und stapfte davon,
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