Hexenblut
der Sozialarbeiterin empfand, sich auf ihre Arbeit auswirkte. Plötzlich hörte sie lautes Gelächter, und als sie den Kopf hob, sah sie Carson, der den Besprechungsraum verließ und in Richtung der Toiletten ging.
Die aufgestaute Wut des gestrigen Abends stürmte auf sie ein. Ihre Wut auf Jack, auf Katie, die Erinnerung an die Fahrt mit Bobby auf dem Rücksitz, um Jack in der Wildnis aufzulesen.
Sie blieb einen Moment lang stehen und wusste, sie sollte es auf sich beruhen lassen, doch der Zorn auf diesen Mann war einfach zu groß. Also folgte sie ihm.
Als sie die Tür zu den Toiletten öffnete, sah sie weiße Kacheln und Spiegel, außerdem drei Kabinen. In einem der Spiegel entdeckte sie Carsons Rücken. Er stand vor einem der Urinale, den Blick nach unten gerichtet.
Kurz entschlossen ging Laura zu ihm und stellte sich neben ihn. Erschrocken zuckte er zusammen, als er sie neben sich bemerkte. »Was zum Teufel machen Sie denn hier?«, brüllte er sie an, während er versuchte, seine Blöße zu bedecken.
»An mich wurde eine Beschwerde herangetragen, Sir«, sagte sie. »Ein Bürger hat mich wissen lassen, dass er entführt und in einen Wald im Moor gebracht wurde, wo man ihn dann auch zurückgelassen hat.«
Carson kniff die Augen zusammen, dann lächelte er spöttisch. »Hat der Kleine sich aufgeregt?«, fragte er herablassend. »Ich sage Ihnen jetzt mal was. Erklären Sie ihm, dass er sich aus meinem Fall heraushalten soll. Wenn er das tut, werde ich ihn in Ruhe lassen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass er das tun wird. Er ist Journalist, müssen Sie wissen, deshalb findet er, dass er das Recht auf Redefreiheit hat, und das bedeutet, dass er sich darüber beschweren kann, wie mit ihm umgesprungen wurde.«
Carson grinste gehässig. »Dann will ich doch hoffen, dass er gut verdient, denn das wird Ihr gesamtes Einkommen sein, wenn ich Sie zu Ihrem Chef zitieren lasse, weil Sie mir hierher gefolgt sind.«
Laura kam noch etwas näher. »Das tut mir leid, Sir, aber ich wusste, wie ernst die Anschuldigungen sind, und als ich Sie sah, wollte ich Sie sofort darauf ansprechen. Deshalb bin ich Ihnen gefolgt. Mir hätte klar sein sollen, dass Ihnen das … wie sagt man …« Sie schaute demonstrativ nach unten. »… dass Ihnen das peinlich sein würde.« Jetzt war es an Laura, überheblich zu grinsen. »Ich habe mit dem betroffenen Bürger gesprochen«, fuhr sie dann fort, »und ihm versichert, dass so etwas nicht noch einmal vorkommen wird. Falls doch, wird er die erforderlichen Maßnahmen ergreifen.« Mit diesen Worten wandte sich Laura zum Gehen.
Carson drehte sich um und zog den Reißverschluss hoch. Seine Wangen glühten, die Mundwinkel hatte er weit nach unten gezogen.
An der Tür angekommen, drehte sich Laura noch einmal zu ihm um. »Das sollten Sie wohl besser unter das Trockengebläse halten«, meinte sie und zeigte auf seine Hose.
Carson fluchte, als er den großen Urinfleck im Schritt sah. Unterdessen kehrte Laura lächelnd in den Flur zurück.
* * *
Als ich eintraf, wartete Katie bereits vor dem College auf mich. Sie telefonierte und ging dabei auf und ab. Als sie mich sah, beendete sie das Gespräch und lächelte mir zu. »Schön, dass du herkommen konntest«, meinte sie gut gelaunt.
»Deine SMS klang dringend«, erwiderte ich.
»Ganz so dringend ist es eigentlich nicht. Die Polizei war nicht sonderlich beeindruckt von dem Brief, als ich ihn abgab, deshalb hab ich noch mal darüber nachgedacht. Und dann kam mir eine Idee.« Als ich nickte, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie weiterreden sollte, erklärte sie: »Was mich ins Grübeln brachte, war die Sprache. Diese altmodischen Formulierungen.«
»Und weiter?«
»Hast du schon mal von den Pendle-Hexen gehört?«, fragte sie.
Das überraschte mich. Natürlich hatte ich von ihnen gehört, so wie wohl jeder in Blackley. Sie waren ein fester Bestandteil der lokalen Geschichte aus einer Zeit vor rund vierhundert Jahren. Zwei Familien aus der Gegend lagen miteinander im Streit, und es war der Höhepunkt der Hexenverfolgung. König James hatte kurz zuvor den Thron bestiegen, und sein Hass auf jede Art Hexenkunst fand rasch Anhänger. Als eine der lokalen Familien bezichtigt wurde, jemanden mittels Hexerei getötet zu haben, überschlugen sich die beiden verfeindeten Familien mit ihren Anschuldigungen, die jeweils andere betreibe Hexerei. Etliche Menschen aus der Umgebung endeten deshalb an den Galgen von Lancaster Castle, und die
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