Hexenblut
Ahnungslosen.
»Ganz genau.« Sie nickte bestätigend. »Sagt Ihnen der Name nichts?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Anne Whittle war eine der Pendle-Hexen«, erklärte sie mit einem unheilvollen Unterton, und ich gab mir alle Mühe, überrascht zu wirken.
»Erzählen Sie mir etwas über diese Anne Whittle«, bat ich sie und versuchte, nicht zu grinsen. Ein brutaler Mord in einer Kleinstadt war schon ein interessantes Sujet gewesen, aber das hier war um Klassen besser. Nachkommen von Hexen, rätselhafte Briefe, Stammbäume. Ich genoss einen Augenblick lang die Vorstellung, wie ich diese Story den Zeitungen anbieten würde. Ich wusste, eines der überregionalen Blätter würde sie haben wollen.
Mrs Goode betrachtete den gerahmten Stammbaum. »Darauf ist Sarah stolz.«
»Stolz?«
»Warum nicht? Es ist ein Teil unserer Geschichte, und laut diesem Stammbaum gehöre ich unmittelbar dazu, so wie Sarah auch.«
»Hat Sarah oft über ihre Verbindung zu den Pendle-Hexen gesprochen?«, wollte ich wissen.
»Viele Leute rund um den Pendle reden über die Hexen. Sarah sagte, wir sind etwas Besonderes, weil wir ihre direkten Nachfahren sind, aber viele Leute in der Gegend können das von sich behaupten.«
»Das heißt, sie empfand das nicht in irgendeiner Weise als eine Art Fluch?«
Mrs Goode schaute mich verwundert an. »Warum sollte sie das tun? Das ist ein Stück Geschichte, die sich vor vierhundert Jahren abgespielt hat.«
Ich überlegte, ob ich die Briefe erwähnen sollte, doch die Polizei hielt deren Existenz geheim, und ich war mir nicht sicher, was sie davon halten würden, wenn ich die Goodes einweihte.
»Haben Sie eventuell ein paar Fotos von Sarah, die ich für meine Story verwenden könnte?«, fragte ich, um vom Thema Hexen abzulenken. Außerdem hoffte ich, ein paar Minuten lang ungestört zu sein.
Mrs Goode nickte und schlurfte zur Treppe. Als sie gegangen war, zog ich mein Telefon aus der Tasche und machte ein paar Fotos vom Stammbaum, wobei ich hoffte, dass man darauf noch irgendetwas würde entziffern können, wenn ich sie auf meinen Computer überspielt hatte. Ich zoomte den jeweiligen Ausschnitt heran und versuchte, alle Zweige im Bild festzuhalten.
Als Mrs Goode mit ein paar Fotos nach unten kam, hatte ich mein Telefon schon wieder weggesteckt. Sie wirkte sehr stolz, als sie die Bilder ansah, bevor sie sie mir hinlegte. Es waren einige Fotos aus Sarahs Schulzeit darunter, auf denen sie noch schlaksig und ungelenk aussah, das Gesicht bleich und mit Sommersprossen überzogen. Auf späteren Aufnahmen war sie immer noch sehr blass, doch ihr Haar trug sie lang und pechschwarz gefärbt. An der Augenbraue konnte ich etwas Metallisches funkeln sehen.
Mrs Goode musste mich dabei ertappt haben, wie ich nochmals einen Blick auf den Stammbaum warf, denn plötzlich sagte sie: »Interessant, dass Sie erwähnt haben, man könnte die Verwandtschaft für einen Fluch halten.«
»Wieso?«
»Weil ich begonnen hatte, nach einigen der Namen zu suchen. Diese Leute sind mit uns verwandt, und ich hielt es für eine schöne Idee, diese entfernten Cousins und Cousinen kennenzulernen. Aber wie es scheint, sind einige von ihnen recht jung gestorben.«
»Es sterben ständig Leute«, gab ich zurück. »Und wenn Sie es genau nehmen, sind die meisten in diesem Stammbaum aufgeführten Menschen schon lange tot.«
»Es gibt keinen Grund, zynisch zu werden, Mr Garrett. Ich hatte nur den Eindruck, dass es Sie interessieren würde. Und nun ist Sarah spurlos verschwunden.«
Und Luke ist tot, hätte ich fast gesagt, stattdessen seufzte ich und entschuldigte mich. Als Mrs Goode keine Reaktion zeigte, fragte ich: »Meinten Sie jemand Bestimmtes?«
Sie kehrte zum Stammbaum zurück und zeigte auf einen Namen weit unten, eine Zeile über Sarah.
»April Mather?«, las ich vor. »Wäre das eine von Ihren Cousinen?«
»Eine entfernte Cousine«, bestätigte Mrs Goode nickend. »Wir sind uns nie begegnet, aber ich erinnere mich daran, dass es in der Zeitung stand.«
»Was stand in der Zeitung?«
»Die Meldung über ihren Selbstmord. Sie hatte sich erhängt, und das auf eine sehr dramatische Weise, indem sie sich vom Blacko Tower stürzte. Das dürfte … hm … so ungefähr zehn Jahre her sein. Und sie«, fügte sie an und zeigte auf einen weiteren Namen.
»Rebecca Nurse?«
Sie verzog daraufhin das Gesicht. »Das war auch eine Tragödie. Es geschah paar Jahre nach Aprils Tod. Sie war jung und hübsch, ihr ganzes Leben lag noch vor ihr.
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