Hexengift
gingen ihr die anderen fürs Erste ganz gerne aus dem Weg. Diese Rücksichtnahme würde aber nicht lange anhalten. Sie würden bald von ihr wissen wollen, wie es weitergehen sollte, und darauf hatte Marla selbst keine Antwort. Sie hatte jetzt mehrmals versucht, Reave aufzuhalten, und war jedes Mal mit dem Kopf gegen die Wand
gerannt. Mittlerweile hatte es auch Tote gegeben. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis ihre Leute ihr die Gefolgschaft aufkündigten? Bis die anderen Magier sie als ungeeignet absetzen und die Schatzmeisterin oder Viscarro an ihrer statt als Magieroberhaupt von Felport einsetzen würden?
In ihrem Büro wartete wieder eine Pizza auf sie. Marla glaubte nicht für eine einzige Sekunde daran, dass irgendein Lieferservice im Moment Bestellungen annahm - es war bereits nach Mitternacht, der Notstand war verhängt worden, und auf den Straßen trieben sich Monster herum -, was bedeutete, dass Ted die von heute Morgen noch einmal für sie aufgewärmt hatte. Er war ein guter Sekretär. Sie hoffte, dass sie noch Bedarf für einen Sekretär haben würde, wenn das hier vorbei war. Mit einem Stück Pizza in der Hand ließ sie sich auf die Couch fallen und versuchte nachzudenken. Sie betrachtete das Schachbrett, auf dem die Figuren immer noch so standen, wie sie und Ted sie mitten in ihrer letzten Partie zurückgelassen hatten.
Was hatte Ted noch gesagt? Auf lange Sicht war Strategie einer kurzfristigen Taktik überlegen? Marla war anderer Meinung gewesen, aber vielleicht hatte Ted doch recht. An ihrer bisherigen Taktik war eigentlich nichts auszusetzen gewesen, sie war eine gute Kämpferin und ihre Verbündeten ebenfalls. Aber mit Gregors Hilfe war Reave ihr jedes Mal zwei Schritte voraus. Eigentlich wollte sie einen weiteren Frontalangriff planen - was konnte sie sonst schon tun? Sie löste Probleme, indem sie sie direkt und wenn nötig mit Gewalt anging, aber vielleicht war es an der Zeit, ihre Vorgehensweise zu ändern. Marla stand auf und bewegte ein paar der Figuren; dann nahm sie die Züge wieder zurück. Schach
war zwar kein Spiegelbild für das echte Leben, aber vielleicht konnte man trotzdem etwas dabei lernen. Sie öffnete ihre Bürotür. »Kommt raus, Jungs!«
Rondeaus Schlafzimmertür ging auf, und er kam heraus, gefolgt von Hamil, Joshua und Ted. Auch sie sahen erschöpft aus, als sie sich zu ihr an den Tisch setzten.
»Reave wusste Bescheid«, begann Marla. »Er wusste, dass ich komme. Ich kann nur vermuten, dass Gregor es vorausgesehen hat … oder vielleicht bin ich ja tatsächlich so berechenbar.« Oder einer von euch ist ein Verräter , dachte sie niedergeschlagen. Aber alles, was ihr im Moment blieb, war, genauestens auf die Reaktionen ihrer Mitstreiter zu achten. »Zealand hat sein Leben geopfert, um Genevieve zu retten. Ernesto ist entkommen, und ich schätze, er hat sich fürs Erste auf seinem Schrottplatz verschanzt. Und ich bin hier.« Sie hob hilflos die Hände. »Meine Taktik ist nicht aufgegangen. Ich schätze, was wir brauchen, ist eine längerfristige Strategie.« Sie holte den Rest der Pizza aus dem Büro und stellte ihn auf den Tisch. »Lasst uns etwas essen und uns unterhalten. Wir brauchen ein paar frische Ideen. Ich halte mich zwar für einigermaßen schlau, aber ich brauche Leute, die auch in andere Richtungen denken als ich, und das seid ihr, Jungs. Betrachtet mal unsere Lage. Was zum Teufel können wir jetzt noch tun ?«
»Wir könnten die Stadt aufgeben«, sagte Hamil, und als Marla ihn daraufhin entgeistert anstarrte, zuckte er mit den Achseln. »Ich denke nur laut nach. Wir haben ein paar allerletzte Notanker. Wir könnten die gesamte Bevölkerung ein paar Meilen weit wegteleportieren und die Stadt komplett abriegeln. Die Grenzwächter könnten sie dann aus unserer
Dimension in eine andere versetzen. Manchmal ist die einzige Möglichkeit, einen Organismus zu retten, das Geschwür herauszuschneiden, auch wenn man damit einen Teil des gesunden Gewebes mit zerstört.«
»Nein«, sagte Marla. »Eher würde ich Genevieve töten und meinen eigenen Tod in Kauf nehmen, weil ich meinen Eid gebrochen habe, bevor ich diese Stadt aufgebe. Es ist meine Stadt. Irgendwelche anderen Ideen?«
»Ich könnte zu Reave gehen und ihm anbieten, seine, ähm, Braut zu sein«, meinte Joshua. »Das würde ihn zumindest ablenken.«
Marla dachte über seinen Vorschlag nach. »Dieser Gefahr möchte ich dich nicht aussetzen. Er würde dich nie wieder gehen lassen, und dann hätte er zwei
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