Hexenjagd
sich hinvegetieren lassen, weil sie dann, vollgepumpt mit Psychopharmaka, überhaupt kein eigenes Leben mehr haben wird! Willst du das?“, fragte sie ernst. Wenn er sich jetzt stur stellte, konnte sie nichts unternehmen, dachte sie besorgt. Allein auf sein Wort hin erklärte sich die Mutter der Patientin mit allem einverstanden, was auch immer man ihr vorschlug, so dass Celiskas Behandlung wesentlich erleichtert wurde. Die ältere Dame akzeptierte merkwürdigerweise zwar Vincents Argumente fraglos, stellte ihre – Rebekkas – Begründungen aber ständig in Frage. Also war man übereingekommen, dass alle Entscheidungsgespräche von Vincent geführt werden sollten, weil man nur so sicherstellen konnte, dass Celiskas Therapie nicht behindert wurde. Wenn er allerdings jetzt ablehnte, konnte sie sich fast sicher sein, die junge Frau zu verlieren. Entweder nahm man sie aus der Klinik, um sie anderswo unterzubringen. Oder die Kleine sorgte selbst für einen endgültigen Bruch mit der Gegenwart und den Menschen!
„Das kannst du nicht machen“, ließ Vincent endlich verlauten. „Es wäre nämlich gut möglich, dass sie mitkriegt, was genau da läuft, und danach genau das macht, was wir eigentlich vermeiden wollen. Also vergiss es.“
„Aber … du …“ Rebekka war maßlos enttäuscht. „Sturer Bock!“, schimpfte sie mit einem Mal los. „Wenn ich dich nicht von Anfang an eingeweiht hätte, wüsstest du so gut wie nichts! Nur weil ich mich immer mit dir beraten habe, hast du Einblick in die laufende Therapie! Und jetzt blockst du alles ab, weil du moralische Bedenken hast? Was soll das?“, fragte sie aufgebracht.
„Du musst den Pfarrer nicht bemühen“, erwiderte er ruhig. „Es gibt da nämlich jemanden, der nur darauf wartet, endlich etwas tun zu können.“
„Und der wäre?“, wollte sie wissen.
„Sagt man nicht, dass die beste Freundin einer Frau so ziemlich alles erfahren kann, wenn sie es nur richtig anstellt?“
16
Celia hockte auf dem Bett ihrer Zelle und verrichtete ihr Abendgebet. Wie immer hatte sie ihre Mahlzeit allein zu sich genommen, um nicht in die Armenküche gehen zu müssen, wo die Nonnen zusammen mit den anderen Menschen aßen, denn sie fürchtete, man würde sie aufs Neue angreifen und beschimpfen. Es tat ihr zwar Leid, weil sie deshalb kaum noch Kontakt zu den Leuten hatte, aber so war es wirklich besser. Außerdem überlegte sie ernsthaft, ob sie nicht dem Orden beitreten sollte, weil die Ruhe und Sicherheit des Klosters ein Leben in Frieden und göttlicher Nähe versprachen. Wenn man sie wirklich aufnehmen sollte, würde sie der Äbtissin ihre Schuld eingestehen und danach ein lebenslanges Schweigegelübde ablegen, damit die Stimme einer Sünderin niemals wieder zu hören sein sollte, beschloss sie.
Ein leises Klopfen an der Tür brachte Celia auf die Beine. Unsicher stand sie mitten im Raum und sah die Klostervorsteherin mit einer Frau hereinkommen, die ihr auf den ersten Blick völlig unbekannt schien. In den blauen Augen der Besucherin leuchtete zwar eindeutig Wiedersehensfreude auf, aber Celia konnte die goldblonde junge Frau nirgends einordnen. Außer dem ovalen, merkwürdig vertrauten Gesicht war ihr die Erscheinung momentan völlig fremd – zumal diese auch noch so merkwürdig gekleidet war: Das hautenge, lindgrüne Wollkleid schien einer zweiten Haut gleichzukommen, wobei es auch noch so kurz war, dass es schon obszön wirkte. Man konnte nicht nur die Waden sehen. Nein, sogar die Knie und ein ganzes Stück von den Schenkeln waren vor allen Augen sichtbar, wie bei einer … einer … Nein, sie wollte weder ihre Gedanken noch ihren Mund mit dieser grässlichen Bezeichnung besudeln!
„Celiska? Erkennen Sie denn Ihre Freundin nicht?“, fragte Rebekka leise.
„Sie sprechen meinen Namen falsch aus“, erwiderte Celia automatisch. Müßig, dachte sie dabei für sich. Die Äbtissin konnte sich einfach nicht angewöhnen, die Silben richtig zu betonen. Außerdem fügte sie immer noch Buchstaben in den Namen ein, die gar nicht hineingehörten. „Freundin?“, sagte sie stattdessen verständnislos. „Sie kann nicht meine Freundin sein. Ich habe sie noch nie gesehen. Weder sie noch ihr Kleid!“ Sie wollte sich abwenden, um ihr Gebet zu beenden, wurde jedoch von einem unterdrückten Schreckensschrei aufgehalten.
„Celiska!“ Verenas Stimme klang unüberhörbar verletzt.
„Mein Name ist Celia!“, wehrte die Angerufene unwirsch ab, wobei sie die erste Silbe des Wortes
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