Hexenjagd
regelrechten Wutanfall und beschwerte sich lauthals. Allerdings nützte ihr das wenig, im Gegenteil. Statt sie wie gewünscht in den Garten zu lassen, wurde sie in den Ruheraum verfrachtet und dort für eine gute Stunde allein gelassen.
„Warum behandelst du sie neuerdings wie eine Gefangene?“, fragte Vincent interessiert. „Mir scheint, sie ist klar genug, um zu verstehen, dass man sie bewusst einsperrt. Was bezweckst du damit?“
„Na ja“, meinte Rebekka betont gelassen, „sie will doch unbedingt in ein Kloster, nicht wahr? Also schaffe ich dieselben Bedingungen, die für eine Novizin gelten. Soviel ich weiß, ist es den angehenden Nonnen auch nicht gestattet, nach Gutdünken zu handeln oder das Kloster zu verlassen, wann immer es ihnen einfällt.“
Vincent schüttelte bloß den Kopf. Man hatte ihn jetzt so weit, dass er überhaupt nichts mehr verstand, dachte er entnervt. Er hielt zwar große Stücke auf Rebekka, aber manchmal schien sie selbst verrückter zu sein als ihre „Schützlinge“. Und dann war da noch etwas, dachte er bei sich: Er selbst schien auch nicht mehr ganz normal zu sein! Wann immer er Celiska ansah, meinte er sie im ersten Augenblick in einem langen, kostbar bestickten Kleid zu sehen, nur um sie im nächsten mit Jeans und Sweatshirt bekleidet vorzufinden. Also, langsam schien auch er durchzudrehen. Dieses ganze Gerede von Historie, Hexen und Nonnen war ja mittlerweile wirklich Nerv tötend!
*
Celia lag unter einem Apfelbaum und betrachtete die dichte Baumkrone über sich, in der sich einige Vögel niedergelassen hatten, um sich an den reifen Früchten gütlich zu tun. Sie atmete den Duft des sonnendurchfluteten Obstgartens und überließ sich ihren Tagträumen. Lange Zeit blieb sie ungestört, doch dann zog ein herannahender Reiter ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie setzte sich auf, um besser erkennen zu können, um wen es sich handelte. Eine Hand erhoben, um die Sonnenstrahlen abzuwehren, die sie blendeten, sah sie Victors wunderschönen Hengst auf sich zutraben, machte jedoch keinerlei Anstalten aufzustehen oder sonst irgendetwas zu tun.
Kurz vor ihrem ausgebreiteten Rock zügelte der Reiter sein Pferd und ließ sich dann mit einer geschmeidigen Bewegung von dessen Rücken gleiten. Die Zügel um einen herabhängenden Ast wickelnd, schaute er auf die junge Frau hinunter, die nach wie vor im Gras saß und nicht im Geringsten schuldbewusst oder gar verängstigt wirkte, und fühlte sein Herz schneller klopfen.
„Du hast dir ein schönes Fleckchen ausgesucht“, sagte er statt einer Begrüßung, derweil er sich neben ihr niederließ. „Vermisst man dich nicht?“, fragte er leise.
„Nein“, erwiderte sie ebenso leise. „Es gibt niemanden, der mich vermissen könnte. Außer den Pflegerinnen vielleicht. Aber die sind mit ihrer Arbeit beschäftigt.“ Mit Ausnahme von Verena, erinnerte sie sich bedrückt, hatte sich niemand wirklich um sie gesorgt. Man hatte sie nach der verpatzten Hochzeit im Haus von Lady Rebekka abgeliefert wie einen Sack Mehl, um sich dann nicht mehr um sie zu kümmern. Selbstverständlich waren die Pflegerinnen und Lady Rebekka sehr nett zu ihr gewesen, aber das war auch schon alles. Nachdem die größte Neugierde befriedigt worden war, hatte es kein weiteres Interesse an ihr gegeben. Selbst Vincent hatte sich nach und nach zurückgezogen, nachdem sie die Verbindung mit seinem Bruder aufgelöst hatte. Vincent …
Celia schüttelte den Kopf, als wolle sie ein lästiges Insekt abschütteln. Wie kam sie bloß auf diesen Namen? Victor musste es richtig heißen! Außerdem – was tat er überhaupt hier? Er sollte doch eigentlich an der Seite seiner zukünftigen Frau sein! „Man wird dich im Herrschaftshaus vermissen“, sagte sie.
„Nein“, erwiderte er ruhig und musterte sie nur kurz, bevor er sein Gesicht wieder gen Himmel hob, um es mit geschlossenen Lidern von der Sonne bescheinen zu lassen. „Man wird mich nicht vermissen. Ich habe ihnen nämlich gesagt, dass ich zu meinem Anwesen will, weil mich meine Leute brauchen.“
Die junge Frau betrachtete Victors markantes Gesicht und wünschte sich, den Druck seines aufregenden Mundes auf ihren Lippen zu spüren. Doch kaum hatte sie sich diesen Wunsch eingestanden, da fühlte sie auch schon ihr Gesicht brennen und senkte hastig den Kopf, um ihn nicht länger ansehen zu müssen. „Du wirst ja bald Hilfe haben“, sagte sie mit belegter Stimme. „Verena ist eine sehr umsichtige und fleißige junge Frau.
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