Hexenjagd
sie das tun, ohne sich vorher die Erlaubnis einzuholen. Mal sehen, was sich daraus entwickeln würde, dachte sie für sich.
Die Psychiaterin konnte sich gut vorstellen, wie ihre Patientin auf ungebetene Besucher reagieren würde – nämlich mit Verwirrung und Angst. Die Verwirrung würde sich legen, sobald die ungebetenen Besuche zur alltäglichen Routine wurden. Aber die Angst, der nächste Besucher könnte vielleicht mit bösen Absichten kommen, würde sich am Ende in Zorn wandeln, was ja das eigentliche Ziel war. Celiska sollte wütend werden, um ihr Refugium für sich allein beanspruchen zu können. Erst wenn sie in der Lage war, sich deutlich gegen die anderen abzugrenzen – ohne die Hilfe einer verschlossenen Tür –, war sie stark genug, um den nächsten Schritt zu tun.
*
Die Zeit schien sich einem ausgeleierten Gummiband gleich endlos zu ziehen. Obwohl erst Freitag war, hatte Celia das Gefühl, es wäre Wochen her, dass Verena das letzte Mal da gewesen war. Dabei waren gerade mal drei Tage vergangen, stellte sie verwundert fest.
Da just in diesem Moment ihre Tür erneut aufging, stand sie automatisch auf, drehte den alten Mann wieder in die richtige Richtung, und schob ihn am Ende sanft, aber bestimmt auf den Flur hinaus.
„Wenn Sie fernsehen wollen, müssen Sie durch die übernächste Tür“, sagte sie freundlich und seufzte ergeben, weil er sie zwar mit einem überaus dankbaren Lächeln bedachte, in seinen Augen jedoch eindeutig Unverständnis zu lesen war. Wie in einem Taubenschlag, dachte sie entnervt. Ständig kam jemand herein und sah sie dann mit großen, verwunderten Augen an, als wolle er fragen, was sie denn hier zu suchen hätte. Ihre Erklärungen fanden kein Gehör. Stattdessen schüttelten die ungebetenen Gäste nur die Köpfe und trotteten dann brav davon – vermutlich schon an der Tür wieder vergessend, dass sie gerade in einem fremden Raum gestanden und mit jemandem gesprochen hatten.
Celia stand gedankenverloren im Türrahmen und verfolgte den gerade weggeschickten Besucher mit den Augen. Sie erkannte jedoch alsbald, dass er nicht ihrem Hinweis folgte, sondern ziellos über den langen Gang trippelte, augenscheinlich nicht recht wissend, wohin er sollte. Also stieß sie einen resignierten Seufzer aus und trat selbst auf den Flur hinaus, um den Verwirrten zu lotsen. Sie dirigierte ihn in den großen Aufenthaltsraum und schob ihn dort in einen großen Ohrensessel. Weil er sie daraufhin mit einem unsicheren Blick bedachte, begriff sie, dass er ursprünglich wohl etwas ganz anderes geplant hatte, als fernzusehen, wusste jedoch nicht, was sie jetzt tun sollte.
„Sie bleiben jetzt hier sitzen“, befahl sie am Ende in eindringlichem Ton. „Ich hole jemanden, der sich um Sie kümmert.“
„Ja, bitte“, krächzte der Alte. „Holen Sie Vincent. Er weiß bestimmt, was ich machen wollte. Wissen Sie – ich vergesse nämlich alles. Nur Vincent weiß immer, was ich will.“
Celia nickte zum Einverständnis.
„Aber Sie bleiben hier sitzen“, betonte sie noch einmal, während sie bereits auf dem Weg zum Ausgang war, „bis ich mit Vincent zurückkomme, ja? Nicht weggehen. Schön hier sitzen bleiben. Wenn Sie nämlich weggehen, weiß ich nicht mehr, wo Sie sind.“
„Sie vergessen wohl auch alles?“, fragte der Greis mit einem einfältigen Lächeln. „Ist nicht schlimm“, plapperte er dann drauflos. „Gar nicht schlimm. Sie müssen sich gar keine Sorgen machen. Ist sogar sehr lustig, das Ganze! Man erlebt immer wieder Überraschungen“, kicherte er. „Und außerdem lernt man immer wieder neue Leute kennen.“
Sein haltloses Gekicher im Nacken, beeilte sich Celia, aus dem Raum zu kommen. Der alte Mann war sicherlich harmlos, doch das eigenartige Angstgefühl in der Magengegend wollte sich nicht ignorieren lassen. Was suchte sie eigentlich hier, fragte sie sich plötzlich. Sie war nicht wirklich krank, also musste man sie nicht gesund pflegen. Und sie saß den ganzen Tag nur untätig herum, dabei könnte sie sicherlich arbeiten. Also: Was genau tat sie hier?
Tief in Gedanken eilte die junge Frau über den Flur und steuerte den großen Raum an, der den Pflegekräften als Pausenraum zugeteilt war und in dem sie Vincent zu finden hoffte. Da sie dabei jedoch nicht auf ihre unmittelbare Umgebung achtete, lief sie dem Gesuchten förmlich in die Arme, weil er urplötzlich aus einer der Türen und ihr somit unvermutet in den Weg trat.
„Hoppla“, stieß er überrascht hervor, wobei
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