Hexenjagd
abwartend. „Was habt Ihr hier zu suchen? So ganz ohne Damen oder Galan? Und was soll diese Maskerade? Habt Ihr etwa ein geheimes Rendezvous mit einem Bauern gehabt?“, fragte er giftig.
Celia starrte ihn einen Augenblick sprachlos an, nur um einen Atemzug später einen schier bodenlosen Zorn in sich wachsen zu spüren. Wie kam er denn dazu, sie so anzufauchen? Und mit welchem Recht zweifelte er an ihrer Tugendhaftigkeit? Er, der mit Sicherheit keine Gelegenheit ausließ, seine primitiven Gelüste zu befriedigen. Er, der wahrscheinlich mehr Frauenherzen gebrochen und mehr Kinder gezeugt hatte, als ihm überhaupt bewusst war.
„Ja“, schnappte sie jetzt nicht minder wütend als er, „genau das! Ich habe mich mit einem Bauern getroffen!“ Das letzte Wort kaum herausgebracht, registrierte sie das gefährliche Aufblitzen in seinen Augen und schluckte erschrocken. Sie wusste, ein Mann wie er war zu allem fähig. Vor allem wenn er zornig war. Aber sie wollte sich nicht wieder von ihm einschüchtern lassen – wollte nicht klein beigeben! „Er ist genau sechs Jahre alt“, stieß sie angriffslustig hervor. „Und er hat sich ein Paket bei mir abgeholt.“ Innerlich zitterte sie, weil sie immer noch seine Hand zu spüren meinte, die ihren Arm festgehalten hatte. Zudem tat ihr der Mund weh, was nicht nur die Erinnerung an seinen brutalen Kuss, sondern auch an die eigenen Gefühle zurückbrachte, denen sie in diesem Augenblick ausgesetzt gewesen war. Und genau das machte sie noch wütender, so dass sie alle Vorsicht vergaß. „Wollt Ihr es genauer wissen? Ich habe aus der herrschaftlichen Küche ein paar Lebensmittel gestohlen, damit er und seine Familie ein paar Tage länger überleben!“ Ihr Gesicht glühte, so wie ihre Lippen auch. Allein der Ausdruck ihrer Augen machte mehr als deutlich, wie aufgebracht sie war.
Victor fand sich unwiderstehlich angezogen und tat, eine Hand bereits nach ihr ausgestreckt, unbewusst einen Schritt auf sie zu.
„Wenn Ihr mich noch einmal anrührt“, drohte sie heiser, „lasse ich es die Herrin wissen. Ich will nicht, dass Ihr mich noch einmal anfasst! Ihr … Ihr seid ein Teufel!“ Sie drehte sich um und rannte davon.
Unterdessen stand Victor völlig still auf der Stelle und schaute dem flüchtenden Mädchen fasziniert nach, dessen langes Haar wie ein herrliches Banner hinter ihr her wehte. Teufel? Vielleicht war er das tatsächlich, dachte er für sich. Wenn man nämlich die unberechenbaren Gefühle, die er diesem kriegerischen kleinen Frauenzimmer entgegenbrachte, als teuflisch bezeichnen wollte, dann war er vermutlich ein Dämon! Jedes Mal, wenn sie ihm über den Weg lief, wollte er sie am liebsten in seine Arme ziehen und nie wieder loslassen. Der Wunsch, sie zu besitzen, ganz und gar, mit Leib und Seele, und ständig an seiner Seite zu haben, wurde langsam unerträglich. Ein Teufel? Er? Nein! Er war nur ein armer Tropf, für den sich der Höllenschlund an dem Tag geöffnet hatte, als er Celia zum ersten Mal begegnet war, denn an diesem Tag hatte er sich unsterblich verliebt und gleichzeitig erfahren müssen, dass die Frau, die ihm sein Herz gestohlen hatte, einem anderen gehören sollte. Sie tat zwar immer noch so, als wüsste sie nichts von den Überlegungen ihrer Brotgeberin, die sich eine willensstarke Schwiegertochter für ihren weichlichen und weltfremden Sohn wünschte. Genauso wenig schien sie von Nicholas’ unübersehbarem Interesse an ihrer Person beeindruckt zu sein. Aber das konnte auch gut gespieltes Theater sein. Victor biss die Zähne so fest aufeinander, dass ein hässlich knirschendes Geräusch entstand. Dann bestieg er sein Pferd und zog die Zügel so abrupt und fest an, dass das Tier auf die Hinterhand stieg, bevor es verschreckt davon galoppierte.
Zur gleichen Zeit kleidete sich die junge Frau in rasender Hast um. Der kleine Schuppen, der sich in einem versteckten Winkel des Obstgartens befand, hatte wohl früher zum Unterstellen der Leiter und der Gartengeräte gedient, war jedoch irgendwann völlig vergessen worden. Dann, kurz nach dem Pfingstfest, hatte Celia ihn auf einem ihrer geheimen Streifzüge entdeckt und sogleich für ihre Zwecke in Beschlag genommen. Die Hütte war zwar morsch und nahe am Zusammenfallen, bot aber immer noch genügend Schutz vor neugierigen Blicken und eine Möglichkeit, die kostbare Kleidung einer Gesellschafterin aufzubewahren, solange die Besitzerin als Bauernmagd unterwegs war, um wohltätige Werke zu vollbringen.
Die
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