Hexenjagd
Falten ihres Gewandes ein letztes Mal überprüfend, schlüpfte Celia aus dem Schuppen, um sich unverzüglich zum Herrenhaus zu begeben. Doch kaum hatte sie den Hinterhof der Kapelle verlassen, da wurde sie gewahr, dass man wohl nach ihr gesucht hatte und nun voller Ungeduld auf sie wartete.
„Die Herrin hat nach dir gefragt. Wo warst du?“
Celia sah ihre Freundin auf sich zustürzen und fing sie mit offenen Armen auf, damit sie sie in ihrer Eile nicht über den Haufen rannte.
„Was ist denn los?“, wollte sie wissen, während sie das Mädchen wieder von sich schob, um es ansehen zu können.
„Gleich nach dem Frühstück ging es ihr schlecht.“ Venice sah ziemlich verheult aus, was nicht ungewöhnlich war. Entweder zerfloss sie vor Mitleid für ein leidendes Mitgeschöpf, oder sie hatte vor irgendetwas Angst, was in beiden Fällen garantiert zu einem wahren Tränenstrom führte. „Sie wollte partout, dass du zu ihr kommst, weil nur du ihr helfen könnest. Als man dich nicht fand, hat sie bitterlich geweint, wie ein Baby.“
Celia seufzte. Lady Langley war wirklich wie ein kleines Kind, dachte sie ungeduldig. War das begehrte Spielzeug gerade mal nicht parat, wurde halt alles kopfscheu gemacht, damit man seinen Willen bekam.
„Welche Beschwerden hat sie denn heute?“, fragte sie uninteressiert. Augenbrauenjucken oder Nasekitzeln, fragte sie sich im Stillen. Das Gejammer und die aufgesetzte Wehleidigkeit gingen ihr allmählich auf die Nerven, obwohl sie die alte Frau eigentlich mochte.
„Magenschmerzen“, erwiderte Venice. „Gleich nach dem Frühstück ging es los. Dabei hat sie doch nur ein bisschen Wasser getrunken, weil sie überhaupt keinen Appetit hatte. Sie hat sich gekrümmt und gejammert, als wolle sie jeden Augenblick sterben. Bitte, Celia, beeile dich! Sie lässt keinen von uns an sich heran, noch nicht einmal den Bader.“
Celia war bei Venices letztem Satz jäh zusammengefahren. Also, das war dann doch sehr ungewöhnlich, dachte sie besorgt. Wenn noch nicht einmal der Bader – eigentlich der Friseur der Herrschaften, der außerdem ein paar medizinische Kenntnisse und ein wenig Erfahrung mit alltäglichen Unpässlichkeiten aufzuweisen hatte – in Lady Langleys Räumlichkeiten durfte, dann war es wirklich ernst.
So schnell sie konnte, lief Celia nun zum Zimmer ihrer Brotgeberin, die sich immer noch in ihrem Bett befand und eine wahre Leidensmiene zur Schau trug.
„Ah, mein liebes Kind!“ Die alte Dame schien am Ende ihrer Kräfte. „Ich sterbe! Komm her und tröste mich. Ich werde nicht mehr lange da sein.“
Kein Fieber, stellte Celia für sich fest, sobald sie Lady Langleys Hand in ihren Fingern hielt. Die Haut war völlig normal temperiert, Puls und Atmung waren ebenfalls in Ordnung. Die Augen blickten völlig klar, wenn auch ein wenig verschwollen von den vielen Tränen, die die Lady unleugbar vergossen hatte. Also – was war hier los?
„Habt Ihr Schmerzen?“, fragte Celia ruhig.
„Ja! Oh ja“, jammerte die Gefragte. „Mein Leib will sich zerreißen! Sieh nur.“ Schon schob sie die Decke zur Seite und raffte das kostbare Nachtgewand hoch.
Celia bekam einen ebenmäßig geformten, wenn auch schon vom Alter gezeichneten Körper zu sehen und ahnte bereits, wo das Problem lag, denn der Leib der Kranken sah stark gebläht aus.
„Wann wart Ihr das letzte Mal auf dem Thron?“, fragte sie ernst, erntete jedoch nur einen schockierten Blick. „Bitte“, seufzte sie ungeduldig, „Ihr müsst mir schon sagen, was ich wissen will, sonst kann ich Euch nicht helfen.“ Das Gesicht ihres Gegenübers rötete sich ob solch peinlicher Frage. Dennoch wollte sie nicht auf die Antwort verzichten: „Nun?“ Ihre Patientin mit einem unnachgiebigen Blick taxierend, zog sie die Brauen nach oben, um so noch deutlicher zu machen, dass sie hartnäckig sein würde.
„Vor vier Tagen“, wisperte die Kranke kaum hörbar.
Celia nickte, was als sichtbare Bestätigung ihrer geheimen Feststellung gemeint war. Kein Wunder, dachte sie. Lady Langley stopfte alles wahllos in sich hinein, am liebsten süßen Kuchen und getrocknete Früchte. Da sie aber kaum etwas anderes trank als hin und wieder ein paar Schlucke Wein und außerdem nur im äußersten Notfall einige wenige Schritte zu Fuß ging – sie ließ sich viel lieber von Nicholas oder ihrem persönlichen Diener Walter herumtragen –, konnte es ja gar nicht anders kommen. Magen und Darm waren wahrscheinlich völlig überlastet und hoffnungslos
Weitere Kostenlose Bücher