Hexenjagd
einmal darüber, dass jetzt, Anfang Januar, ein Gewitter aufzog, was sehr ungewöhnlich war. Im Gegenteil. Sie fühlte tiefe Ehrfurcht angesichts dieses Schauspiels, welches ihr wie die Offenbarung göttlicher Macht erscheinen wollte. Und so ließ sie sich auf die Knie sinken und verschränkte die Hände zu einem inbrünstigen Gebet. „Lieber Gott, hilf mir“, wisperte sie. „Ich habe ihn getötet, um meine Seele zu retten. Aber jetzt hat er mich doch überlistet.“ Bittere Tränen mischten sich mit den großen Regentropfen, die ihr über das aufgewühlte Gesicht liefen. „Ich sehe deinen Zorn, aber ich kann meine Sünde nicht ungeschehen machen. Wenn du ein gnädiger Gott bist, vergib mir. Ich …“ Das gleißende Licht eines nahen Blitzes, dem unmittelbar ein dröhnender Donner folgte, übertönte ihr Gemurmel, während sie nun langsam in sich zusammensank und schließlich zur Seite kippte, um wie ein zusammengerolltes Tier auf dem durchweichten Moos des Waldbodens liegen zu bleiben.
Verena hatte gar nicht richtig mitbekommen, was da eigentlich passiert war. Sie hatte zwar den Mann gesehen, der Celiska davontrug. Auch seine Worte: „Ich bringe sie in einer Stunde zum Standesamt!“, hatte sie gehört, konnte sich jedoch nicht vorstellen, wohin er mit der Freundin wollte. Weil Celiska aber auch keinen Ton gesagt hatte, nahm sie an, dass es sich um einen der üblichen Scherze handelte, die sich junge Männer immer wieder einfallen ließen, um den Kumpel ein wenig aufzuziehen, der ihren Junggesellenklub verlassen wollte. Statt sich also weiter ernsthaft Gedanken zu dem Geschehen zu machen, hatte sie ihr eigenes Cape und Celiskas Mantel an sich genommen, die Wohnung ordnungsgemäß verschlossen und war mit Christine, die nur wenige Minuten später eingetroffen war, zum Standesamt gefahren. Und nun stand sie da, musste wiederholt erklären, was genau geschehen war, und begann sich nun doch Sorgen zu machen.
„Wie sah der Mann aus?“, fragte Nils ernst.
Verena beschrieb die Person, so gut es ihr gelingen wollte, und wunderte sich dabei, dass Nils zunächst seinem Bruder einen undurchdringlichen Blick zuwarf, bevor er die Stirn in nachdenkliche Falten legte.
„Er sagte ausdrücklich, er bringt sie später hierher“, wiederholte sie kleinlaut. Irgendwie schien sie da etwas verkehrt gemacht zu haben, dachte sie für sich. Man sah sie an, als habe sie persönlich für dieses Malheur gesorgt. Aber sie konnte doch gar nichts dafür! Was hätte sie auch unternehmen sollen, wo sich doch Celiska selbst gar nicht gewehrt hatte?
„Carsten!“ Nils schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Dieses elende Schlitzohr. Na warte!“ Schon lief er davon. „Ich weiß, wo ich Celiska finde“, rief er über die Schulter zurück. „Ich bin in einer halben Stunde wieder da!“
Vincent starrte ihm verständnislos nach und richtete einen fragenden Blick auf seine Mutter: „Weißt du, wo er hinwill?“
Christine zuckte bloß mit den Schultern, doch dann stutzte sie sichtlich.
„Das Jagdhaus“, murmelte sie vor sich hin – und sog im nächsten Moment hörbar den Atem ein, weil Vincent ihren Arm so fest gepackt hatte, dass es schmerzte. „Es ist etwa eine Viertelstunde von hier entfernt“, sagte sie nun lauter. „Es liegt am Waldrand, südlich der Bundesstraße. Nils hat dort oft mit seinen Freunden gefeiert, wenn sie mal ganz ungestört sein wollten.“
Mehr wollte Vincent gar nicht hören. Wenn es tatsächlich so war, wie er sich das vorstellte, dann war eine Katastrophe geschehen, das wusste er jetzt mit Gewissheit. So wie er Celiska einschätzte, war sie mittlerweile entweder völlig durchgedreht oder zumindest am Rande eines Zusammenbruchs. Den Arm der Mutter loslassend, warf er sich herum und stürmte mit langen Schritten davon. Ein paar Sekunden später brauste er mit quietschenden Reifen vom Parkplatz des Standesamtes und dann mit rasender Geschwindigkeit die Straße entlang. Nils’ Wagen war mit einem Mal vor ihm, doch gab es zum Überholen keine Veranlassung, denn auch der Bruder fuhr nun wie ein Irrer durch den Vorort auf die Bundesstraße zu. Sie brauchten tatsächlich nur zehn Minuten, um das Wochenendgrundstück zu erreichen, auf dem die kleine, aber sehr massive Blockhütte stand, die als Jagdhütte bezeichnet wurde, diese Funktion aber nie erfüllt hatte.
Dass das Häuschen völlig dunkel war, irritierte keinen der beiden Männer. Schließlich wussten beide, dass man entweder den
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